Abenteuer Bayerischer Wald

Natur pur im Nationalpark Bayerischer Wald. Foto: Rainer Simonis

Von wegen tot: Im Nationalpark Bayerischer Wald gilt das Gesetz „Natur Natur sein lassen“. Totholz wird nicht weggeräumt. Bei einer Wanderung mit Ranger Mario Schmid zeigt sich: In den toten Bäumen steckt viel neues Leben.

Am Wegesrand steht ein Baum. Nein, das allein ist im Nationalpark Bayerischer Wald wahrlich nichts Ungewöhnliches. Auf dem über 24 000 Hektar großen Areal gibt es Tausende von Fichten, Rotbuchen, Bergahornen, Birken und Tannen. Bäume wie diese Buche gibt es dagegen nur wenige. Von vorne sieht sie mit ihrem mächtigen Stamm völlig normal aus. Grüne Blätter wippen in ihrer Baumkrone. Als ich wenige Schritte um den Baum herum gehe, zeigt sich ein anderes Bild. Von hinten offenbart die Buche ihren großen Überlebenswillen. Der Stamm ist völlig ausgehöhlt und bildet nur noch ein U. Bevor ich in die Buche hineinschlüpfen kann, warnt mich Nationalparkranger Mario Schmid vor Kreuzottern. Der 47-jährige Familienvater arbeitet seit 20 Jahren als Ranger in diesem Gebiet. Er weiß, wo Tiere Unterschlupf suchen, seltene Pilzarten wachsen und von welchen Berggipfeln man die schönsten Ausblicke hat.
Die ausgehöhlte Buche schätzt Schmid auf rund 300 Jahre. Ihre Wurzeln hat sie auf dem Ruckowitzschachten – einer Hochweide, auf die seit dem 17. Jahrhundert im Sommer Jungvieh getrieben wird – fest in die Erde gegraben. „Wer weiß, was dieser Baum zu erzählen hätte, könnte er sprechen“, sagt Schmid und klopft dabei mit der Hand sachte auf den Stamm. Die Buche trotzte 2011 und 2015 den Orkanen „Kyrill“ und „Niklas“, breitete über Bauern und Wanderer ihre schützenden Äste aus und bietet noch heute Insekten und Vögeln ein Zuhause. Dabei hat ein kleiner Specht den Baum in sein Verderben gestürzt. Spechte hämmern mit ihrem Schnabel Löcher in die Baumrinde, um darin nach Nahrung zu suchen. Insekten und Pilze nisten sich ein. Die Löcher werden zu kleinen Höhlen und bieten Käuzen, Fledermäusen und Falken einen Brutplatz. „Durch das Leben darin beginnt der Baum von innen heraus zu faulen und mit den Jahren steht ein völlig ausgehöhlter Baum vor uns“, sagt der Ranger.
Die Bäume müssen verschiedensten Einflüssen standhalten. Foto: Rainer Simonis
Wie Schmid kommen viele seiner Kollegen aus der Forstwirtschaft. Die Aufgaben der 26 Ranger im Nationalpark Bayerischer Wald sind abwechslungsreich: Sie patrouillieren im Wald, pflegen die Natur, tauschen sich mit Rangern weltweit aus, bilden Junior-Ranger aus und klären die Bevölkerung auf. Bei Führungen erzählt Schmid, wie aus Totholz wieder neue Bäume hervorgehen, woran man den Borkenkäfer im Baum erkennt und wie sich der Wald durch den Klimawandel verändern wird. Die Ranger sehen sich als Sprachrohr der Natur. „Die Natur kann nicht reden, also tun wir das für sie.“

Meister der Selbstheilung

 

Auf dem Weg zum Großen Falkenstein, einem der höchsten Berge im Nationalpark, führt mich der Ranger über schmale Waldwege – immer bergauf. Mit der Schuhspitze grabe ich ein Loch in die vertrockneten, braunen Fichtennadeln am Boden. Schmid sind die Nadeln schon vor mir aufgefallen. „Hier ist der Käfer drin“, ist seine Antwort auf meinen fragenden Blick. Wenn die Bäume in solch starkem Maße ihre Nadeln verlieren, sind sie selbst verloren – der Borkenkäfer frisst sich durch die Rinde. Braune Stämme, braune Zweige, braune Nadeln und brauner Waldboden: Der Wald wirkt in einem Umkreis von 20 Metern tot. Da im Nationalpark aber die Maxime „Natur Natur sein lassen“ herrscht, zeigt sich der Wald hier als Meister der Selbstheilung. Indem das Nationalpark-Team in aktuell 72 Prozent des Waldes nicht mehr mit Forstarbeiten eingreift, trägt es seinen Teil zu neuem Leben bei. Nach einigen Jahren sprießen aus dem Totholz der umgestürzten Baumstämme zarte grüne Pflänzchen. „Ein toter Baum bildet die Grundlage für viele neue Bäume“, sagt Schmid. Wie viele das sind, liege am Standort. „Es können schon 30 bis 50 sein.“

Gipfelglück auf dem Großen Falkenstein
Vom Gipfel des Großen Falkensteins aus wandert der Blick weit über den Bayerischen Wald. Foto: Frank Bietau

Das Tor zur Hölle

 

Wenige Meter weiter tauchen wir wieder in die grüne Urwaldwildnis des Nationalparks ein. Am Einstieg ins sogenannte Höllbachgspreng treffen wir auf eine Gruppe Wanderer. Sie erzählen, dass sie auf der neuen Schutzhütte am Großen Falkenstein übernachtet haben und nun wieder zurück auf den Weg ins Tal sind. Anstatt links in den Waldweg abzubiegen, kommen sie uns über den Flusslauf des Höllbachs hinterher. „Da muss ich nachhaken, die verlaufen sich sonst“, sagt Schmid und kehrt um. Zum einen fühle er sich als Ranger für die Sicherheit der Menschen verantwortlich, zum anderen ist ihm auch der Schutz der Natur ein großes Anliegen. Immer wieder sammelt er achtlos weggeworfene Bonbonpapiere ein und lässt sie in seiner Hosentasche verschwinden.

Im Höllbachgspreng bedecken gelbgrüne Schwefelflächen die Felswände aus baumhohem Gneis. Kein Wunder, dass die Menschen früher in diesem Waldabschnitt das Tor zur Hölle vermuteten. Auf schmalen Pfaden klettern wir um die Felsbrocken herum. Heute bricht strahlender Sonnenschein durch die Bäume. Der Bach rauscht, ein Specht hämmert und die jahrhundertealten Fichten, Rotbuchen und Bergahorne leuchten in ihren schönsten Grünschattierungen. Das Blätterdach lichtet sich und wir treten hinaus auf den Gipfel des Großen Falkenstein. In der Region ist er als „Foikastoa“ bekannt. Schmid tritt vor das eiserne Gipfelkreuz und zeigt nach unten ins „gelobte Land“, wie er seine Heimat nennt. Zu unseren Füßen liegt sein Heimatdorf Lindberg. Wandert der Blick nach rechts, blicken wir auf den Großen Arber – mit 1 456 Metern der König des Bayerwaldes. Auf der linken Seite sehen wir den Großen Rachel (1 453 Meter). Die Sonne sticht herab, kein Lüftchen weht. Außer Vogelstimmen und Grillengezirpe ist beim Blick über den Bayerwald nichts zu hören.
Urwald
Im Bayerischen Wald kann man spannendes entdecken. Foto: Philipp Seyfried

Ein wahres Urwaldrelikt

 

Auf dem Rückweg hat sich Ranger Schmid einen Abstecher zu einem Urwaldrelikt vorgenommen: dem Duftenden Feuerschwamm. Der Pilz mit einem Durchmesser von etwa 15 Zentimetern sitzt auf dem Stumpf einer abgestorbenen Tanne. Sein Fruchtkörper ist bräunlich bis ockerbraun und erinnert an einen Schwamm. Auf den ersten Blick nicht appetitlich anzusehen. Dabei war es auch sein betörender Duft, der ihn verraten hat: „Wanderer, die hier vorbeikamen, hatten einen ganz starken Rosenduft in der Nase“, sagt Schmid, während er neben dem Stamm kniet. Die Ranger gingen der Sache auf den Grund und entdeckten den seltenen mitteleuropäischen Urwald-Pilz. An diesem Sommertag steht er nicht mehr in voller Blüte, sein Duft hat schon nachgelassen. Der Duftende Feuerschwamm ist eine wahre Sensation. In ganz Deutschland kommt er ausschließlich im Nationalpark Bayerischer Wald vor, in Europa noch an zwei weiteren Standorten und weltweit gibt es ihn genau sechs Mal. Schmidt richtet sich auf und fragt mich: „Was passiert, wenn diese Pilzart wegstirbt?“ Da ich keine Antwort habe, schaue ich ihn fragend an. Auch er zuckt bloß mit den Schultern. Das wisse keiner so genau. Pilze, Insekten, Vögel, Säugetiere, Bäume und Pflanzen – sie alle leben seit Jahrmillionen miteinander im Lebensraum Wald. Wenn durch den Klimawandel ein Glied aus der Kette herausbricht oder ein neues hinzukommt, wird das Auswirkungen auf das Ökosystem haben. Welche das sind, weiß man nicht. Im Nationalpark möchte man aber seiner Philosophie weiterhin treu bleiben: Natur Natur sein lassen.

Eckdaten zur Wanderung

Startpunkt: Parkplatz P1 Zwieslerwaldhaus, Waldhausstraße 22, 94227 Lindberg

Tour: Anspruchsvolle Tour zum Großen Falkenstein (1315 m) durch das Höllbachgspreng mit vielen kleinen Wasserfällen und einem Bergmischwald, Einkehrmöglichkeit am Gipfel im Schutzhaus Falkenstein, Abstieg über den Ruckowitzschachten und das Urwaldgebiet Mittelsteighütte

Länge: 14,9 km

Höhenmeter: ca. 700 hm

Dauer: 5:15 h

Ausrüstung: festes Schuhwerk, Schlechtwetterkleidung, Getränke, Erste-Hilfe-Set, Wanderkarte (erhältlich in der Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald)

Einkehr: Schutzhaus Falkenstein, auch Übernachtungen möglich
(www.schutzhaus-falkenstein.de)

Mehr über den Nationalpark Bayerischer Wald erfahren Sie in der Ausgabe 02/2020.

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Matthias Jell

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