Von wegen tot: Im Nationalpark Bayerischer Wald gilt das Gesetz „Natur Natur sein lassen“. Totholz wird nicht weggeräumt. Bei einer Wanderung mit Ranger Mario Schmid zeigt sich: In den toten Bäumen steckt viel neues Leben.

Meister der Selbstheilung
Auf dem Weg zum Großen Falkenstein, einem der höchsten Berge im Nationalpark, führt mich der Ranger über schmale Waldwege – immer bergauf. Mit der Schuhspitze grabe ich ein Loch in die vertrockneten, braunen Fichtennadeln am Boden. Schmid sind die Nadeln schon vor mir aufgefallen. „Hier ist der Käfer drin“, ist seine Antwort auf meinen fragenden Blick. Wenn die Bäume in solch starkem Maße ihre Nadeln verlieren, sind sie selbst verloren – der Borkenkäfer frisst sich durch die Rinde. Braune Stämme, braune Zweige, braune Nadeln und brauner Waldboden: Der Wald wirkt in einem Umkreis von 20 Metern tot. Da im Nationalpark aber die Maxime „Natur Natur sein lassen“ herrscht, zeigt sich der Wald hier als Meister der Selbstheilung. Indem das Nationalpark-Team in aktuell 72 Prozent des Waldes nicht mehr mit Forstarbeiten eingreift, trägt es seinen Teil zu neuem Leben bei. Nach einigen Jahren sprießen aus dem Totholz der umgestürzten Baumstämme zarte grüne Pflänzchen. „Ein toter Baum bildet die Grundlage für viele neue Bäume“, sagt Schmid. Wie viele das sind, liege am Standort. „Es können schon 30 bis 50 sein.“

Das Tor zur Hölle
Wenige Meter weiter tauchen wir wieder in die grüne Urwaldwildnis des Nationalparks ein. Am Einstieg ins sogenannte Höllbachgspreng treffen wir auf eine Gruppe Wanderer. Sie erzählen, dass sie auf der neuen Schutzhütte am Großen Falkenstein übernachtet haben und nun wieder zurück auf den Weg ins Tal sind. Anstatt links in den Waldweg abzubiegen, kommen sie uns über den Flusslauf des Höllbachs hinterher. „Da muss ich nachhaken, die verlaufen sich sonst“, sagt Schmid und kehrt um. Zum einen fühle er sich als Ranger für die Sicherheit der Menschen verantwortlich, zum anderen ist ihm auch der Schutz der Natur ein großes Anliegen. Immer wieder sammelt er achtlos weggeworfene Bonbonpapiere ein und lässt sie in seiner Hosentasche verschwinden.

Ein wahres Urwaldrelikt
Auf dem Rückweg hat sich Ranger Schmid einen Abstecher zu einem Urwaldrelikt vorgenommen: dem Duftenden Feuerschwamm. Der Pilz mit einem Durchmesser von etwa 15 Zentimetern sitzt auf dem Stumpf einer abgestorbenen Tanne. Sein Fruchtkörper ist bräunlich bis ockerbraun und erinnert an einen Schwamm. Auf den ersten Blick nicht appetitlich anzusehen. Dabei war es auch sein betörender Duft, der ihn verraten hat: „Wanderer, die hier vorbeikamen, hatten einen ganz starken Rosenduft in der Nase“, sagt Schmid, während er neben dem Stamm kniet. Die Ranger gingen der Sache auf den Grund und entdeckten den seltenen mitteleuropäischen Urwald-Pilz. An diesem Sommertag steht er nicht mehr in voller Blüte, sein Duft hat schon nachgelassen. Der Duftende Feuerschwamm ist eine wahre Sensation. In ganz Deutschland kommt er ausschließlich im Nationalpark Bayerischer Wald vor, in Europa noch an zwei weiteren Standorten und weltweit gibt es ihn genau sechs Mal. Schmidt richtet sich auf und fragt mich: „Was passiert, wenn diese Pilzart wegstirbt?“ Da ich keine Antwort habe, schaue ich ihn fragend an. Auch er zuckt bloß mit den Schultern. Das wisse keiner so genau. Pilze, Insekten, Vögel, Säugetiere, Bäume und Pflanzen – sie alle leben seit Jahrmillionen miteinander im Lebensraum Wald. Wenn durch den Klimawandel ein Glied aus der Kette herausbricht oder ein neues hinzukommt, wird das Auswirkungen auf das Ökosystem haben. Welche das sind, weiß man nicht. Im Nationalpark möchte man aber seiner Philosophie weiterhin treu bleiben: Natur Natur sein lassen.
Eckdaten zur Wanderung
Startpunkt: Parkplatz P1 Zwieslerwaldhaus, Waldhausstraße 22, 94227 Lindberg
Tour: Anspruchsvolle Tour zum Großen Falkenstein (1315 m) durch das Höllbachgspreng mit vielen kleinen Wasserfällen und einem Bergmischwald, Einkehrmöglichkeit am Gipfel im Schutzhaus Falkenstein, Abstieg über den Ruckowitzschachten und das Urwaldgebiet Mittelsteighütte
Länge: 14,9 km
Höhenmeter: ca. 700 hm
Dauer: 5:15 h
Ausrüstung: festes Schuhwerk, Schlechtwetterkleidung, Getränke, Erste-Hilfe-Set, Wanderkarte (erhältlich in der Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald)
Einkehr: Schutzhaus Falkenstein, auch Übernachtungen möglich
(www.schutzhaus-falkenstein.de)