Der Herr der Bäume: Mit dem Naturfotografen Markus Stock unterwegs in der Bayerischen Rhön

Markus Stock
Markus Stock in "seinem" Reich. Mit seiner Kamera ausgestattet, geht er im Wald auf eine Zeitreise in die Vergangenheit. (Foto: Matthias Jell)

Musiker, Komponist, Lyriker und Naturfotograf: Markus Stock aus Unterfranken ist ein wahrer Tausendsassa. Unser Autor Matthias Jell hat den 43-Jährigen zu dem Ursprung seiner Bilder, seiner Kreativität und seines Seelenlebens begleitet: der Bayerischen Rhön.

Wintereinbruch an einem der höchsten Punkte der Rhön. „Der erste Schnee ist für mich noch immer etwas ganz Besonderes“, schwärmt Markus Stock und macht einen Schritt ins Unterholz des Waldes. Er kennt das Gebiet wie seine Westentasche. Seit seiner Jugend zieht es ihn immer wieder in dieses Stück unberührte Natur. Es ist seine Heimat, der Quell all seiner Kreativität. Aus ihr schöpft er seit jeher neue Kraft. Stock liebt die Abgeschiedenheit und die Ruhe.

„Ich war immer schon eher der verträumte Typ. Als Kind habe ich es geliebt, mit meinen Eltern irgendwo hinzufahren, dabei die Landschaft zu betrachten und meine Gedanken schweifen zu lassen“, erinnert sich Stock. Dabei war ihm damals noch gar nicht so bewusst, dass das Gute oft so nah liegt. Erst in seiner Jugend entdeckte er die malerische Schönheit der Rhön für sich. Reale Motive, die ihn unweigerlich an Werke seiner Lieblingsmaler Caspar David Friedrich oder Julius von Klever erinnerten. 

Weitere Fotos von Markus Stock:

Die Kraft der Natur in Bildern und Musik

 

Dabei schöpft Markus Stock nicht nur Kraft aus seiner natürlichen Umgebung, sondern findet sich auch selbst in ihr wieder. „Dieses Einsame und Melancholische der Rhön passt perfekt dazu, wie ich mich sehe.“ Inspiration genug für ihn, 1994 seine eigene Band „Empyrium“ zu gründen, mit der er bis heute erfolgreich ist. Wie auch in seinen Bildern, spiegelt sich in der Musik von „Empyrium“ der romantische Naturmystizismus wider. Dabei zeichnet Stock seit jeher allein für den Großteil der musikalischen Komposition, die Lyrik, aber auch die visuelle Komponente verantwortlich. Albumtitel wie „A wintersunset“ oder „Songs of moors & misty fields“ sind Wegweiser in die Rhön.

Als wir an diesem nebelverhangenen Wintermorgen durch die Rhön streifen, spricht Markus Stock von einer Art „Eskapismus, einer Seelenreise“ für ihn. Hier oben vergisst er die Zeit, sagt der 43-Jährige. „Ich bin da buchstäblich wie weggeknipst. Manchmal bin ich hier vier Stunden lang unterwegs und es fühlt sich an, als wären es 20 Minuten gewesen.“ Zielsicher stapft er durch den Neuschnee, hält zwischendurch immer wieder an und setzt die Bäume mit seiner Kamera in Szene. „Die Komposition ist immens wichtig. Man muss die Bäume auf den Fotos voneinander trennen, damit sie sich im Motiv nicht kreuzen“, erklärt mir Markus Stock, als er eine Gruppe schneebedeckter, wuchernder Buchen fotografiert. Dadurch schafft er auf seinen Bildern Ordnung im Chaos des Waldes.

Erinnerungen an einen Zauberwald

 

Tatsächlich wecken die uralten Buchen dieses Waldes in mir Erinnerungen an einen Zauberwald. Ich wähne mich in Fangorn, dem verhexten Wald in J.R.R. Tolkiens Epos „Der Herr der Ringe“. Die knorrigen Äste der Bäume erstrecken sich fast schlangengleich in alle Richtungen. „Das ist typisch für Buchen. Sie wollen immer zum Licht und verdrängen dabei alles, was ihnen im Weg steht“, sagt Markus Stock. Auch für ihn hat dieser Wald etwas Magisches. Er sieht ihn bis heute durch die fantasievollen Augen eines Kindes. „Die Fantasie eines Kindes bewahren. Das ist für mich das Wesen eines Künstlers“, spricht er und zeigt auf einen besonderen Baum, der nahezu einer Skulptur gleicht.

Stock nennt diesen Baum „Der betende Mann“ , denn in seiner Vorstellung gleicht die Szenerie einer Art Baumbeerdigung. „Ich sehe darin eine vollkommene Traurigkeit. Wie ein gefallener Baum und ein Baum mit gefalteten Händen, der für den anderen betet.“ Tatsächlich erkenne ich plötzlich, was Stock meint. Je länger ich die Baumformation betrachte, umso mehr erwächst auch in mir das Bild vom „betenden Mann“. Ein natürliches Gebilde vollendeter Melancholie.
"Der betende Mann". (Foto: Markus Stock)

Das leidige Phänomen des „Instagram-Tourismus“

 

Als wir immer weiter in den uralten Wald vordringen, begegnen wir einer weiteren Naturfotografin aus der Region. Auch sie nutzt die idealen Witterungsbedingungen für einen Streifzug durch die Rhön. Markus Stock erzählt mir, dass er selbst in den entlegensten Winkeln dieses Waldes immer mal wieder auf andere Fotografen trifft. „Solange sie der Natur mit Respekt begegnen, habe ich damit kein Problem“, sagt Stock. Ein Ärgernis sei für ihn dagegen das Phänomen des „Instagram-Tourismus“, dessen Auswirkungen er selbst bereits beobachten konnte. „Mittlerweile versuchen viele Leute, Naturfotos aus dem Internet zu kopieren, indem sie an den Ort fahren und dasselbe Foto machen. Das sind für mich reine Trophäensammler.“ Grund genug für Markus Stock, achtsam zu sein. Er möchte daher das Waldstück, in dem wir unterwegs sind, im Artikel nicht genannt haben – um Nachahmer fernzuhalten und dadurch die Natur zu schützen.

Doch nicht nur für die Rhön schlägt das Herz des 43-Jährigen: „Ich war dieses Jahr im Spätsommer mit meiner Familie im Bayerischen Wald und war begeistert. Für mich ist der Bayerische Wald neben der Rhön der schönste Fleck Deutschlands.“ Ihn habe dort das „Urzeitliche und Naturbelassene“ sehr beeindruckt. Stock: „Auch dort habe ich die Spuren der Zivilisation nicht so wahrgenommen. Es war wie eine Zeitreise für mich.“ Seine Fuji-Kamera hat er auf diesen Zeitreisen immer mit dabei. Wie er selbst sagt, ist Technik beim Fotografieren für ihn nur zweitrangig, Mittel zum Zweck: „Das Gefühl ist entscheidend, weniger die Technik.“

Toten Bäumen neues Leben einhauchen

 

Stock hat sich in den letzten beiden Jahren immer mehr aufs Fotografieren fokussiert. „Musikalisch hatte ich während der Corona-Lockdowns einen kreativen Leerlauf. Umso mehr hat es mich raus in die Natur gezogen, um zu fotografieren“, berichtet er. Kreativität ist für ihn die Essenz seines Lebens. „Für mich ist das so wichtig wie Essen und Trinken.“ Zudem liebt er den Prozess des Lernens. So verwundert es auch nicht, dass er sich nicht nur Instrumente wie Gitarre, Bass, Keyboard und mittlerweile auch Hackbrett selbst beigebracht hat, sondern eben auch das Fotografieren. Stock: „Natürlich habe ich dabei in der Anfangszeit immer wieder mal Fehler gemacht, aber darum geht es doch im Leben: Aus Fehlern lernen und beim nächsten Mal besser machen.“

Dadurch ist es ihm gelungen, mit seinen Bildern auch toten Bäumen neues Leben einzuhauchen. „Wir Menschen sind Teil der Natur und nicht irgendwelche außenstehenden Kreaturen, die sich die Natur Untertan gemacht haben“, sagt Markus Stock. Keine Frage, man muss die Natur nicht nur respektieren, sondern auch zu schätzen wissen, um die Magie solcher Orte in sich aufzusaugen. Manchen Menschen wird sie daher wohl immer verborgen bleiben, wie Stock mit einer Anekdote belegt: „Ich habe in der Rhön im Schwarzen Moor mal einen Mann getroffen, der mich gefragt hat, ob es denn hier nur Bäume gibt und weshalb er dann überhaupt den ganzen Weg gemacht hat. Da wurde mir wieder bewusst, weshalb ich die Abgeschiedenheit der Natur suche.“

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe 01/2022. Unter folgendem Link geht’s zur aktuellen Ausgabe von Bayerns Bestes.

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Matthias Jell

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