Ein Klettersteig für Anfänger: Ran an den Kleinen Jenner!

Bayerns Bestes-Autorin Daniela Feldmeier auf dem Klettersteig "Schützensteig" am Kleinen Jenner im Berchtesgadener Land. (Foto: Günter Durner)

Ein Klettersteig für Anfänger: Bayerns Bestes-Autorin Daniela Feldmeier bestieg zusammen mit Bergführer Günter Durner die Westflanke des Kleinen Jenner im Berchtesgadener Land. Eine Tour mit wenigen Schlüsselstellen, aber umso mehr abwechslungsreichen Passagen.

Der Kleine Jenner misst 1.674 Meter. Der Einstieg in seine Westwand liegt 60 Meter unterhalb des Gipfels. Ein Bergrücken aus massivem Gestein, der circa 150 Meter steil abfällt. Wer den kleineren der beiden Jenner-Gipfel auf diesem Weg besteigen möchte, kommt an 330 Meter Sicherungsseil, 70 Tritten, Flying Fox und Hängebrücke nicht vorbei: Diese Route führt über den Klettersteig „Schützensteig“.
Als Klettersteig oder Via Ferrata wird eine Route direkt am Fels bezeichnet, die durch Leitern, Tritte und Eisenstifte gesichert ist. Ein Stahlseil ist über den kompletten Weg – oder zumindest weite Teile davon – gespannt, um die Kletterer zu sichern. Hier hakt man sich mit den Karabinern des Klettersteigsets ein, um bei einem Fehltritt nicht in die Tiefe zu stürzen. „Stürze sind trotzdem unbedingt zu vermeiden“, sagt Günter Durner. Der 57-jährige Garmischer ist seit über 30 Jahren Bergführer und begleitet regelmäßig Anfänger und Fortgeschrittene durch steile Felswände und hochalpines Gelände.

Das Klettersteigset, bestehend aus einem Bandschalldämpfer – ein mehrlagig übereinander vernähtes Band –, zwei elastischen Seilen und zwei Karabinern, bewahrt seinen Träger zwar vor einem Absturz, schwere Verletzungen sind aber nicht ausgeschlossen. „Das A und O ist eine gute Vorbereitung und die richtige Ausrüstung“, nennt der Bergführer die wichtigsten Regeln bei der Begehung eines Klettersteigs: Die Route muss dem eigenen Können angepasst sein und darf den Kletterer nicht überfordern. Die Grundausrüstung besteht aus Klettergurt, Klettersteigset und Helm.

330 Meter am Fels entlang

 

Der „Schützensteig“ ist einer der zwei Via Ferratas auf der Westseite des Kleinen Jenner. Mit dem Schwierigkeitsgrad A/B ist er deutlich leichter als die C-Variante „Laxersteig“. Für Neulinge wie mich ist er deswegen ideal. Mit einer Länge von 330 Metern können sich Anfänger etwa eine Stunde lang an die Herausforderung in der Vertikalen herantasten – ohne eine Tour vor sich zu haben, die der eigenen Kondition zu viel abverlangt. „Denn Umdrehen ist nicht“, nennt Durner eine weitere Regel. Hier am „Schützensteig“ gibt es nach etwa der Hälfte der Strecke sogar einen Notausstieg – ein weiteres Merkmal, das ihn als Anfänger-Klettersteig auszeichnet.

Der Einstieg versteckt sich auf knapp 1.630 Metern zwischen mannshohen Felsen. Ein rotes Hinweisschild mit der Aufschrift „Einstieg Klettersteig! Ab hier Helm- und Gurtpflicht“ macht auf die Nische aufmerksam. Bevor wir uns mit beiden Karabinern in das Sicherungsseil einklinken, erklärt Durner, wie eng der Gurt sitzen darf und durch welche Schlaufen ich das Klettersteigset durchfädele. Vor dem Einstieg erfolgt der obligatorische Partnercheck, wie man ihn aus dem Klettersport kennt. Helm, Gurt, Knoten – alles sitzt an der richtigen Stelle. Los geht’s!

Kleine Schritte, Kraft sparen

 

Die erste Hälfte des Steigs führt weitestgehend horizontal am Fels entlang. „Mach trotzdem kleine Schritte, um Kraft zu sparen“, rät Durner, der vorneweg geht und auf schwierige Passagen hinweist. Konzentriert setze ich einen Schritt vor den nächsten, blende die Umwelt aus und nehme nur das rasselnde Geräusch der Karabiner am Stahlseil neben mir wahr. Alle paar Meter gilt es, die Karabiner auszuklinken und nach der Verankerung in der Wand wieder ins Seil einzuhängen.

Wampenschreck – ein Baum, der sich den Kletterern in den Weg stellt und einen etwa 60 Zentimeter breiten Spalt zwischen sich und der Felswand lässt –, Flying Fox – eine Seilrutsche zwischen zwei unterschiedlich hohen Punkten, in die sich Kletterer mit ihrem Klettersteigset einhängen, um eine etwa fünf Meter breite Felsspalte zu umgehen –, Hängebrücke – ein wenige Meter langes, wackeliges Konstrukt aus Holzplanken und Sicherungsseilen –, alles kein Problem für mich, da ich schwindelfrei bin und heute meine zweite Ferrata absolviere.

Schlüsselstelle „Die schneidige Gams“

 

Nach der Hängebrücke stehe ich vor der ersten Schlüsselstelle, genannt „Die schneidige Gams“: Der schmale Steig horizontal zum Fels ist verschwunden. Ich stehe vor einem großen Steinbrocken, in den drei Eisentritte eingeschlagen sind. Die Tritte erinnern mich an Klammern, die einst meine OP-Wunde nach einem Kreuzbandriss zusammenhielten. Eckige Bügel, durch die man in die Tiefe sieht
und die ich jetzt dreimal hintereinander mit je einem großen Schritt treffen muss. Beide Hände fest am Sicherungsseil, drehe ich meinen Oberkörper zum Fels und taste mit dem rechten Fuß nach einem Halt. „Du musst schon schauen, wo du hintrittst“, ruft mir Durner zu. Also gut: Kopf leicht nach rechts gedreht, schielen meine Augen auf diesen nicht sehr vertrauenserweckenden Tritt. Mit der Fußspitze erreiche ich ihn, aber es kostet mich sehr viel Überwindung, auch mein Gewicht zu verlagern.

Obwohl der Steig auch für Familien mit Kindern empfohlen wird, sind einige Trittstellen nur mit einem großen Ausfallschritt zu erreichen: Vor dieser Herausforderung stehe ich mit meinen 1,56 Metern am „Steilen Pfeiler“ vor dem Gipfelgrat – nur dass ich den Ausfallschritt nicht horizontal, sondern in der Vertikalen ausführen muss. Meine zweite Schlüsselstelle. Ich weiß nicht, wo ich mich festhalten soll, um mich aus dem Stand auf den nächsten Tritt vorzuschieben. Durner erinnert mich, beide Hände am Sicherungsseil zu lassen: „Dafür ist es ja da.“ Nach ein paar Minuten Ziehen, Hopsen und Schieben habe ich auch diese Stelle gemeistert und laufe bald danach fast aufrecht den Gipfelgrat entlang.

Mit der Aussicht auf die Westseite des Hohen Bretts steigen wir Schritt für Schritt dem Hölzernen Gipfelkreuz des Kleinen Jenner entgegen. Oben wartet der obligatorische Handschlag nach einer Gipfelbesteigung. Meine wackeligen Knie haben sich eine Pause verdient. Wir setzen uns, packen unsere Brotzeit aus. Über uns der Watzmann, dritthöchster Berg Deutschlands, der sich in Wolken hüllt, unter uns der Königssee, auf dem die weißen Ausflugsboote wie Spielzeug wirken. Irgendwo dazwischen wir – mit unserem Käsebrot, das nirgends so gut schmeckt wie auf einem aus eigener Kraft bestiegenen Gipfel.
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