Zu Wasser, auf dem Berg, in der Luft, im Kloster und im Museum: Bei ganz besonderen Yoga-Stunden in Oberbayern lässt Autorin Ulrike Kühne die Lebensenergie fließen.
Kopfüber hänge ich beim Aerial-Yoga in Lenggries im Hammock-Tuch und blicke auf die kopfstehenden Berge, über deren Gipfel bunte Paraglider schweben. Ich spüre, wie das ungewohnt viele Blut durch meinen Kopf rauscht, ein Kribbeln in den Zehen. Die Lebensenergie fließt. Ich bin ein entspannt von seinem Ast hängendes Faultier. Ein Moment puren Glücks. Vier weitere Teilnehmer des Yoga-Retreats und Übungsleiterin Simone Heitinga baumeln in diesem Moment in der untersten Etage des Lenggrieser Hochseilgartens in ihren Lycra-Tüchern. Wir dehnen mit dem Tuch als variables Übungsgerät unsere Muskeln, öffnen die Brust für tiefen Atem und entspannen zum Abschluss im Tuch liegend, mit angezogenen Beinen, wie ein Baby in der sanft schaukelnden Wiege.
Simone Heitingas Aerial Yoga ist “ein Mix aus Yoga und Luftakrobatik”, denn die aus den Niederlanden stammende Artistin ist viele Jahre im Cirque du Soleil als Luftakrobatin aufgetreten und veranstaltet noch heute in Lenggries internationale Luftakrobatik-Workshops. In dem Hochseilgarten, den sie mit ihrem Partner Axel Berger, einem Feuerkünstler, betreibt, bringt die 41-Jährige auch Touristen und Einheimischen Kunststücke bei. Das Kind in mir jubelt, als auch ich an dem rund sechs Meter über unseren Köpfen befestigten Vertikaltuch turnen darf. Mit seitlich ausgestreckten Armen hänge ich schon wieder kopfüber da, den Knoten des Tuchs im Kreuz. Ein Bein ist zur Decke gestreckt und hält im Knie das Tuch, das andere Bein biege ich weit nach hinten, die Zehen elegant gestreckt – denke ich zumindest, bis ich später die Fotos sehe.
Bis an Grenzen der Beweglichkeit
Beim Yoga-Retreat im Tölzer Land lernen die Teilnehmer, ihren Körper neu wahrzunehmen, gehen an die Grenzen ihrer Beweglichkeit und darüber hinaus. Und vor allem lernen sie, an den unterschiedlichsten Orten zu sich selbst zu finden. Yoga machen kann man in Lenggries in den Tüchern oder auf einer Plattform des Hochseilgartens acht Meter über dem Boden. Einige Kilometer weiter paddeln wir kurz später mit SUP Boards auf den türkisfarbenen Sylvensteinsee hinaus, um Katze, Kuh und Lotussitz auf dem Wasser auszuprobieren.
Yoga-Lehrerin Marisa Weber lässt uns zuerst die Paddel-Technik üben, bevor wir unterhalb des 2.100 Meter hohen Schafreuter Gipfels mit dem Yoga beginnen. Der Vierfüßlerstand ist einfach, Katze-Kuh kein Problem, aber als wir beim “herabschauenden Hund” die Hinterteile in die Höhe strecken, fangen die Boards an zu wackeln. Kommt einer ins Schwanken, lassen die kleinen Wellen seines Boards auch die anderen leicht tanzen. Es ist schwer, sich dabei auf die Bewegungsabfolge des “Sonnengrußes” zu konzentrieren und noch schwerer, nichts zu denken und die Aufmerksamkeit auf das Körperinnere zu richten. Auch wenn die 29-jährige Übungsleiterin sagt, “habt keine Angst reinzufallen, das ist nur Wasser” – es geht ein leichter Wind und das Wasser ist kalt. Es ist unmöglich auszublenden, dass ich auf einem schwankenden Brett stehe und nicht auf festem Boden, insbesondere bei Übungen wie dem Held, wobei beide Füße in einer Linie längs in der Boardmitte stehen und nicht stabil nebeneinander.
Wir haben Talent, niemand geht baden. Nur eine von uns fällt mit einem Platsch platt nach vorn auf ihr Paddelbrett. Mein Fazit: Die Bergkulisse ist so phänomenal wie die Farbe des Sees. Der Wind und das Kitzeln einer kleinen Fliege auf der Haut, das sanfte Schaukeln des Bretts vermitteln das Gefühl, Teil der Natur zu sein. Immer in Bewegung. Die Übungen auf dem Board sind eine spannende Herausforderung – zur reinen Entspannung ist SUP-Yoga daher eher nicht für Anfänger geeignet. Dafür macht es viel Spaß und “trainiert perfekt die kleinen Muskeln im Körper, die für mehr Stabilität zuständig sind”, erklärt Weber.
Als sich das Yoga über Jahrtausende im alten Indien entwickelt hat, gab es noch keine SUP-Boards, aber auch da ging es schon um körperliche und psychische Stabilität – immer verbunden mit der persönlichen Spiritualität. Vielleicht sind deshalb heute gerade Klöster so beliebte Orte für Yoga Kurse und -Seminare. Während der Yogareise übernachten wir im Cohaus Kloster Schlehdorf. Die wenigen verbliebenen Nonnen haben sich ein neues, modernes Wohnhaus auf ihr Gelände gebaut, während in ihren alten Zellen im Haupthaus die Gäste schlafen dürfen. Mein Zimmer heißt nach seiner vorherigen Bewohnerin “Hildegard” und hat Ausblick auf einen Arm des Kochelsees sowie die Höhenzüge des Herzogstands und des Heimgartens.
Gäste und permanente Bewohner des alten Klosters, das inzwischen von einer sozial orientierten Münchner Wohnungsbaugenossenschaft geführt wird, leben hier Tür an Tür. Menschen aller Altersgruppen teilen sich die Wohn- und Arbeitsbereiche. Yoga-Lehrerin und Künstlerin Anna Schölß lebt zwar mit Mann und vierjähriger Tochter im Dorf, hat aber im Erdgeschoss des Klosters ihr Atelier für Malerei und Installation. Die 38-Jährige organisiert internationale Ausstellungen und kombiniert in ihren Kursen Kunst und Yoga. Wie das zusammenpasst? “Beim Yoga kann man ruhig werden, Blockaden lockern”, sagt sie, “dann macht eine weiße Leinwand keine Angst mehr”….
Die vollständige Reportage lesen Sie in der Ausgabe 03/2021. Passend zum Yoga haben wir dieses Rezept aus der Ayurveda-Küche für Kerala Kokoscurry als Genusstipp.
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