Die Luft ist besonders rein in Bad Tölz. Wald und Wiesen wechseln sich auf den sanften Hügeln im Voralpenland ab. Sonne, Schatten und kühlender Wind schaffen ein Heilklima. Tief durchatmen und bewegen – da wird Wandern zur Klimatherapie.
Puls: 75. Die Luft ist frisch und riecht – nach nichts. Wanderführerin Elisabeth Dosch marschiert voraus, aus dem Tölzer Kurviertel zu einer Schnupperrunde auf dem Heilklimawanderweg 21. Wald, Wiesen und einige Steigungen verspricht sie. Auf nach Kiefersau.
Dosch biegt in einen Feldweg ein. In dem schattigen Waldstück riecht es würzig nach Moos, Nadeln, Laub. „Jacke auf, etz wärmen wir uns erstmal auf.“ Wir strecken die Arme leicht geöffnet nach oben, die Rippen heben sich, der Brustkorb wird größer. Da die Lunge am Brustkorb anliegt, dehnen sich auch die elastischen Lungenflügel. Automatisch atmet jeder tief ein.
„Prickelnde Champagnerluft“ im Kurort Bad Tölz
Bad Tölz wirbt mit „Champagnerluft“. „Sie prickelt“, sagt Kurdirektorin Brita Hohenreiter mit einem Lächeln. „Die thermischen Fall- und Aufwinde aus den Alpen sorgen für ständigen Luftaustausch“, bringt es Sport- und Physiotherapeutin Maren Merklinger auf den Punkt.
16 Kurorte in den Bayerischen Alpen tragen das Prädikat „Heilklimatischer Kurort“. Die therapeutische Wirkung des Klimas und die gute Luft sind wissenschaftlich verbrieft. In Bad Tölz misst der Deutsche Wetterdienst (DWD) regelmäßig Feinstaub, Ruß, Grobstaub und Stickstoffdioxid. Fazit: Die Lufthygiene stimmt. Zusätzlich wurden 17 Heilklimarundwege per GPS vermessen und vom DWD beurteilt. Zu jedem gibt es ein Höhen- und Leistungsprofil sowie ein Diagramm zur Strecke: Wiesen, Wald, Orte, ein Wasserlauf. So viel Aufwand für eine Wandertour. Warum?
„Beim Heilklimawandern geht es um die bewusste Anpassung an die Klimareize“, erklärt Merklinger. Der Volksmund nennt es „abhärten“, Mediziner sprechen von der Aktivierung der Abwehrkräfte. Gemeint ist: Das Heilklima hilft dem Körper, sich zu regenerieren und vor Krankheiten zu schützen..
Co-Trainer Heilklima
Bewegung im Mix aus Reizen und Schonfaktoren gilt als Jungbrunnen. Die Temperatur im Mittel- und Hochgebirge schwankt zwischen Tag und Nacht beträchtlich. Wechselnde Windgeschwindigkeiten und die intensive Sonneneinstrahlung im Voralpenland reizen den Körper. „Flachländer brauchen einige Zeit, um sich daran zu gewöhnen“, stellt Merklinger fest. Sind Klimareize, Bewegung und Atmen richtig dosiert, können Asthma, Bluthochdruck, Stress, Herz- und Kreislaufprobleme gelindert werden. Bei Therapien legt der Arzt die Belastungsgrenze fest. Je nach geforderter Leistung wählen Wanderführer und Physiotherapeuten die Strecke aus, leiten die Wanderer an, achten auf Blutdruck und Puls. Besonders für Untrainierte und zur Genesung nach einer Krankheit wirkt das exklusive Lüftchen heilsam. Schwüle und nächtliche Hitze, die den Kreislauf belasten, fehlen.
Bald führt der Schotterweg nach oben „Etz gehn ma a wenig langsamer“, bremst Dosch das zügige Tempo. Bewusst. Das ist nicht für jeden selbstverständlich. Puls und Atmung sollen auch beim Anstieg im Rahmen bleiben. „Viele laufen auf Leistung“, erzählt sie, schnell vorbei am gelb blühenden Hahnenfuß, am blauen Enzian, den Häusern mit weit auskragenden Dächern und rustikalen Balkonen. Der Weg führt vorbei an schmucken Bauernhöfen im Gänsemarsch einen sonnigen Wiesenpfad entlang. Kühe kommen an den Zaun.
Blomberg: Mehr Nervenkitzel
Mit Sesselbahn oder mit Wanderschuhen: Der Blomberg (1248 Meter) ist ein beliebtes Ziel. Kinder und Jugendliche finden auf der Sommerrodelbahn und in den neun Abenteuerparcours des Hochseil Kletterwalds eine Abwechslung zum Wanderprogramm.
Am Hügelkamm ist Pause angesagt. Durchschnaufen. Der Puls ist auf 145. Es riecht nach Gras. Solange noch jeder „mehr als drei Sätze am Stück“ reden kann, darf der Atem schon schneller gehen. Der Blick schweift über waldreiche Hügel, aus denen ein Kirchturm aufragt. „Da drüben liegt Wackersberg, dahinter Gaißach. Rundum ragen die vier Tausender Rechelkopf, Schürfenkopf, Blomberg und Zwieselberg auf. Bei guter Sicht grüßt fern das Karwendel. Vor uns ein geraniengeschmückter Einödhof, eine mächtige Rotbuche. Die Hügel lehnen sich sanft aneinander.“
Gesunder mix: Schonen und reizen
Der kühle Wind ist wechselhaft. Sonnige Strecken führen in schattigen Wald. Der Körper reagiert auf die Temperaturänderung. Diese häufigen Umstellungen puschen die Ausdauer, fordern im planbaren Rahmen.
Im hochstämmigen Wald folgt die nächste Atempause. Jacke auf, Füße hüftbreit und tief in den Bauch atmen. Die Vögel zwitschern, die Hände liegen auf dem Bauch oder seitlich unter den Rippen. Tief einatmen, nachspüren, schauen, hören, durchatmen. Beugen, Arme und Beine ausschütteln und weiter geht’s. Die Atmung steuert das Stresslevel, tiefes atmen beruhigt. Wiederholtes Üben steigert den Effekt. Ein Netz von über 340 Kilometern Länge verbindet die heilklimatischen Kurorte Bad Heilbrunn und Bad Tölz mit Kochel am See, Wackersberg und Lenggries zum Heilklimapark Tölzer Land. Sie sind fürs Heilklima-Wandern in drei Schweregrade klassifiziert. Im Voralpenland ist die Luft nicht so pollenfrei wie im Hochgebirge, dafür aber fällt gerade Untrainierten und Kranken die Anpassung an die geringere Sauerstoffmenge leichter.
Entlang am Golfplatz geht es auf der abgekürzten Heilklimarunde zurück nach Bad Tölz. „Wegbeschaffenheit vorwiegend sonnig, meist eben“ informiert der grüne Wegweiser. Die Beschilderung hilft bei der Kontrolle über die Leistung, die die Wanderung abverlangt. Schließlich steht ein dosierter Trainingseffekt im Mittelpunkt. „Pfiad di!“, verabschiedet sich Dosch. Rosenduft schwängert die Luft. Puls 73.
Nähere Details zum Heilklima in Bad Tölz finden Sie im Magazin „Bayerns Bestes“-Ausgabe 04/2019.
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