200 Jahre Pfarrer Kneipp

Foto: Adobe Stock / MiekoPhoto

Pfarrer Sebastian Kneipp war um 1890 weltberühmt. Der resolute Allgäuer therapierte mit Wasser hunderttausende Patienten, vom Schwindsüchtigen bis zum Papst. Kneippen, seine umfassende Naturheilmethode, stärkt die Widerstandskraft und ist aktueller denn je.

Vom Kurpfuscher zum Helfer der Menschheit

 

Kneipp – das ist mehr als Wassertreten, eine Marke in der Drogerie und der Kopf auf einer Briefmarke. Pfarrer Sebastian Kneipp begründete im 19. Jahrhundert die umfassendste Naturheillehre Europas. Wer war der Mensch, dessen Namen fast jeder kennt?

Vom Weberbastl zur Berühmtheit

 

„Den Herrn möcht er macha, der Bua, der borschtige, aber arbeita möcht er nix!“ wettert Maria Rosina Kneipp gegen die Ambitionen ihres Sohnes. Statt im Keller zu weben, will Sebastian Kneipp studieren und Pfarrer werden. Dafür gibt es im Haus des Leinenwebers Xaver Kneipp mit vier Töchtern und einem Sohn kein Geld. So hatte sogar als Firmgewand ein umgearbeitetes Kleid der Mutter taugen müssen.

 

In der gerade erschienenen Biografie „Faszination Kneipp“ schreibt Harald Klofat „Aber da sind
sein eiserner Wille, seine Unbeirrbarkeit, ja sein Starrsinn und sein tiefer Glaube, der schließlich Berge versetzt […]. Das scheinbar Unmögliche gelingt.“ Schon als Bub spielt Sebastian Kirche, disputiert Glaubensfragen mit dem Vater, fühlt sich berufen. Klofat ergänzt: „Materielle Gründe spielten bei Kneipps Drang, Geistlicher zu werden, wohl auch eine Rolle: er war bettelarm, die Pfarrer wohlgenährt und zufrieden.“

 

Kneipp ist in den Traditionen seiner Zeit verhaftet, tiefgläubig, hat ein Herz für Kinder und Waisen. Gleichzeitig ist er wissbegierig, ein scharfer Beobachter, ehrgeizig und selbstbewusst. Der ungeduldige Pfarrer mit den dicken Augenbrauen kann laut seinem Weggefährten und Reisebegleiter Alois Stückl schon „grätig“ werden, wenn etwas zu lang dauert, ihn von den Kranken fernhält. Doch seine Hingabe und kraftvolle Persönlichkeit machen ihn ungemein beliebt. Seinen Rat suchen hunderttausende Kranke, wobei der Schaffner im Zug genauso Antwort bekommt wie Kaiserin Sisi, der indische Maharadscha von Baroda oder Prinz Rupprecht von Bayern.

 

Anteil an seiner Popularität tragen die Zeitungen und die neue Kunst der Fotografie. Kurgäste bei skurrilen Leibesübungen, der Pfarrer in Soutane mit Gießkanne – das gibt Schlagzeilen. Laut New York Times ist Monsignore Kneipp zu Beginn der 1890er-Jahre einer der weltweit berühmtesten Deutschen, gleichauf mit Kaiser Wilhelm und Bismarck.

Vom Pfarrer zum Monsignore Kneipp

 

„Vergesst mir die Seele nicht!“, fordert Pfarrer Kneipp. Diesen Titel hat er sich erarbeitet mit Privatunterricht, Mitte Zwanzig als Gymnasiast und Student. Ab 1852 ist er Kaplan, Beichtvater und Ortspfarrer in Wörishofen. Erst wenn die Frühmesse gehalten und die Pflichten als Seelsorger erledigt sind, bleibt Zeit für Patienten. Reisen starten nach dem Sonntagsgottesdienst. Als Prediger und Redner zieht der bodenständige Schwabe eindringlich, humorvoll und bildreich Gläubige wie Zuhörer in seinen Bann – mitunter tausend gleichzeitig.

 

Geld ist für Kneipp dabei persönlich nicht wichtig. Honorare und Spenden stiftet er für ein Priesterkurhaus, heute Sebastianeum genannt, das Kneippianum und ein Kinderasyl. Sein Arzt und Biograf Dr. Alfred Baumgarten schreibt: „Wenn Kneipp Erholung suchte, ging er hinauf zu den Kindern und spielte mit ihnen.“ Sie nennen ihn Vater Kneipp.

 

Ohne sein Mitleiden, seinen Willen zu helfen, ohne seine Lehre „wäre er einfach ein schwäbischer Dorfpfarrer gewesen“, erzählt Harald Klofat. Doch „Person und Lehre Kneipp sind untrennbar verbunden.“ So ist 1894 die Reise nach Rom, zu Papst Leo XIII., der Höhepunkt seiner Karriere: Der Papst empfängt ihn in vier Privataudienzen, fragt um medizinischen Rat und ernennt ihn zum Monsignore.

Vom Kranken zum Wasserdoktor

 

An Lungentuberkulose erkrankt, von Ärzten aufgegeben, badet Kneipp 1849 nach den Vorschriften Johann Siegmund Hahns in der Donau – und kuriert sich selbst. In den Folgejahren und später in Wörishofen erforscht und entwickelt er die Kneippsche Naturheillehre. Neben Wasseranwendungen verordnet er Kräuter, Bewegung und gesunde Kost – Seelsorge inbegriffen.

 

Als einer der Ersten erkennt Kneipp hinter den Symptomen einer Krankheit die Auslöser. In der Einheit von Körper, Geist und Psyche therapiert er Menschen ganzheitlich und individuell. Seine Bücher „Meine Wasserkur“ und „So sollt ihr leben“ werden Kassenschlager.

Pfarrer Sebastian Kneipp. Foto: Archiv Hans Högel KG

Gleichwohl sind ihm der Wirknachweis durch die Ärzte, die Weiterführung durch die Barmherzigen Brüder und die Kneippärzte und die systematische Erneuerung der Methoden wichtig. So empfiehlt er selbst mit den Jahren immer mildere Reize. Wasserheilanstalten, die zu wenig differenzieren, kritisiert Kneipp offen: „In der Mannigfaltigkeit aller Anwendungen und in der verschiedenartigen, jedem einzelnen Patienten durchaus angemessenen Applizierung derselben Anwendung, wird und muß sich der Meister zeigen.“ Die gesundheitsfördernde und -erhaltende Wirkung der Anwendungen und der Kneipp-Kur ist heute unumstritten, die Immunstärkung aktueller denn je. Seit 2015 ist Kneippen nationales, immaterielles Kulturerbe.

 

Den griffigen Namen „Wasserdoktor“ prägte übrigens ein Spielfilm von 1958. Kneipp hätte ihn wohl abgelehnt. Ohne medizinische Ausbildung muss er sich für sein Wissen über Diagnostik, Kräuter und Naturheilkunde sowie seine Behandlungen vor Gericht und dem Ordinariat oft verteidigen.

Der Revoluzzer: „Was keinen Kampf kostet, taugt nichts“


Als Kind wird Kneipp für seine Armut, im Studium als „Dr. Hydrophilos“ (griechisch: Dr. Wasserfreund) verspottet, als Heiler angegriffen. Zügig und kostenlos für die Mittellosen hilft er. Als er als Kaplan in Boos zur Magd Columba Haas gerufen wird, erteilt er die Sterbesakramente, verordnet dann Umschläge und Waschungen und besiegt den Tod. Als geschäftsschädigend und Kurpfuscher verklagen ihn Apotheker und Mediziner. Vorgesetzte rügen ihn. Stirbt ein Patient, sei „das Wasser“ schuld. „Aber ich muß auch der Wahrheit Zeugnis geben und das als verkehrt Erkannte als solches bezeichnen“, schreibt Kneipp in „So sollt ihr leben“. Ganz „dickköpfiger Schwabe“, beharrt er auf seinem Standpunkt, konstatiert Biograph Klofat, heilt weiter und trägt so zur Revolutionierung der Medizin bei.

 

Über 200 Ärzte hospitierten bei ihm. Unkonventionell und radikal waren seine Verordnungen, besonders in den Anfangsjahren. Übergewichtige Patienten schickte der selbst Beleibte
zum Holzhacken, verwöhnte Geistliche auf gesunde und kalorienarme Kost.

Wie nebenbei: Bauer und Imker

 

Als Beichtvater der Dominikanerinnen in Wörishofen wird Kneipp auch Leiter der klösterlichen Landwirtschaft. Er arbeitet mit den Nonnen in Landwirtschaft, Haus und Garten, bemüht sich um die
Vieh- und Milchwirtschaft, richtet eine Kräuterapotheke und eine Klosterbrauerei
ein. Im Nachbardorf gründet er eine Mädchenschule für Haus- und Landwirtschaft. Natürlich probiert er die Wirkung des Wassers auch beim Vieh und heilt tatsächlich Rinder von der Maul- und Klauenseuche. Seine Verbesserungsvorschläge hält er in Sachbüchern über Ackerbau, Viehzucht und Bienen anschaulich fest.

 

Mit seinem weißen Spitz als Begleiter verbringt der Pfarrer jede freie Minute bei seinen Bienen – und raucht dabei eine Zigarre – zur „Beruhigung der Bienen“, wie er sagt. Trotz Ruhm, Glaube und Gesundheitsbewusstsein ist eben auch Sebastian Kneipp vor allem eines: ein Mensch.

1821-2021: 200 Jahre Pfarrer Kneipp

 
Erbe und Vermächtnis

Der Kneippbund entwickelt seit der Gründung 1897 das Gesundheitskonzept nach Sebastian Kneipp auf Basis wissenschaftlicher Forschung weiter. Der Dachverband verbindet rund 600 Kneippvereine und 160 000 Mitglieder. Seit 1962 organisiert „Kneipp Worldwide“ die Kneippbewegung in inzwischen 40 Ländern.

Kuren mit Kneipp

Es gibt über 50 Kneipp Kurorte in Deutschland. Untrennbar mit Sebastian Kneipp verbunden ist Bad Wörishofen im Unterallgäu. Durch den „Wasserpfarrer“ wandelte sich das Dorf zum mondänen Kurort. 24 Kneippanlagen in Bad Wörishofen und unzählige in Bayern und der Welt machen Kneippen überall möglich.

Ein Kneipp-Spaziergang

Bad Wörishofen feierte 2020 seine Ernennung zum Bad. Der Kurort bietet 2021 ein umfangreiches Kneipp Programm, zum Teil an den originalen Wirkstätten. Das Sebastian-Kneipp-Museum im Kloster macht bereits auf seiner Website mit der interaktiven Tour Lust auf einen Besuch. 

Weitere Informationen: 

www.bad-woerishofen.de
www.kneippmuseum.de

 

Lesen Sie auch: Gesund und vital mit Kneipp. Mehr über Kneipp erfahren Sie in der Ausgabe 01/2021.

BUCHTIPP

Faszination Kneipp

Von Harald Klofat

 

Zum 200. Geburtstag von Pfarrer Sebastian Kneipp schildert Kneipp-Kenner Harald Klofat in „Faszination Kneipp“ das Leben des Heilers aus einzigartiger Perspektive. Als zeitgeschichtliches Dokument beleuchtet das Buch das Vermächtnis, die Stadt Bad Wörishofen, den Kneippbund und die Marke Kneipp.

 

 

Verlag Hans Högel KG,
2020 | 116 Seiten | 17,90 Euro

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Matthias Jell

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