Wer in diesem ganz besonderen Sommer Bedarf an mehr Leichtigkeit und psychischer Stabilität hat, kann einen Ausflug nach Bad Feilnbach machen. Dort findet er auf dem „Body2Brain“-Rundweg beides – wenn er sich darauf einlässt.
Dr. Claudia Croos-Müller steht breitbeinig da. Sie klopft sich auf die Schenkel, schlägt mit den Fäusten auf die Brust, ruckt die Ellbogen nach oben, reißt die Augen auf und streckt die Zunge heraus. Vor der Alpenkulisse im oberbayerischen Bad Feilnbach tanzt die 69 Jährige den Haka – einen traditionellen Kriegs- und Zeremonien-Tanz der Maori und ein beliebter Schlusspunkt ihrer Führungen über den von ihr entwickelten „Body2Brain“-Weg.
Der 2,5 Kilometer lange Rundweg im Ortsteil Au wird von der Gemeinde Bad Feilnbach als „Gute-Laune-Trimmpfad“ beworben. Aber er macht nicht wirklich fit, er macht nur glücklich – und im positiven Sinne etwas verrückt. Wer am Ende mit der schlanken, adrett gekleideten Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie zusammen Haka tanzt, hat auf dem Weg viel gelernt: Locker zu sein, Hemmungen und Scham abzulegen.
Das ist gar nicht einfach, denn die zwölf Übungen, die auf Schautafeln entlang eines kleinen Baches erklärt werden, sind zwar „kinderleicht, aber erwachsenen-schwer“, sagt Dr. Croos-Müller. Das zeigt sich schon bei der ersten Übung: dem Hüftschwung. Breitbeinig hinstellen, Gewicht von links nach rechts verlagern und dabei die Hüften „schwingen wie eine Glocke“. Das sieht zuerst etwas steif aus. Es fällt schwer, die neugierigen Blicke der Radfahrer zu ignorieren, die auf dem Bodensee-Königssee Radweg vorbei strampeln.
Dabei wäre es wichtig, die Hüften im Stehen und Gehen richtig locker zu schwingen – denn das schaukelt die Organe im Bauchraum, stimuliert die dort verlaufenden Nerven und den Solarplexus. Zu jeder Übung gibt es auf den Tafeln eine genaue Anleitung und dazu die neurowissenschaftlich basierte Erklärung, wie und warum sie sich positiv auf die Psyche auswirkt. „Der Schwung aus der Hüfte geht rein in den Kopf“, erklärt die Ärztin. Dort wird er im Gehirn verarbeitet, wir fühlen uns beschwingt und wohl. So die Theorie. In der Praxis komme ich mir noch etwas albern dabei vor.
„Schlendrian ist Baldrian“
Dr. Croos-Müller bemerkt das und erzählt von einem alten Ehepaar, das sie einmal bei einem Spaziergang an der „Hüftschwung“-Station beobachtet hat. „Da hing die Frau am Rollator und hat versucht, mit dem Popo zu schwingen – so süß!“ Ihre Vermutung ist: „Als alter Mensch ist man vielleicht eher bereit, sich lächerlich zu machen.“
Kindern fallen alle Übungen leicht, weil sie noch nicht das Gefühl haben, sich gesellschaftskonform verhalten zu müssen. Zumindest die Bereitschaft, sich dem gängigen Verhaltenskodex zeitweise zu widersetzen, ist Voraussetzung, dass die „Body2Brain“-Übungen funktionieren. Fröhlich über den Weg zu hüpfen etwa fällt auf dem Themenweg im Sonnenschein nicht schwer. Ich bin schon stolz, auf die Frage „Wann sind Sie das letzte Mal gehüpft?“ mit „Vorige Woche auf dem Weg zum Bäcker“ antworten zu können. Leider habe ich hinzugefügt: „Zum Glück hat mich keiner gesehen.“ Die eigene Scham, findet die Bad Feilnbacher Ärztin, steht oft mehr Leichtigkeit und Glück in unserem Leben im Weg. Stabilität ist ein weiterer wichtiger Grundpfeiler der psychomentalen Gesundheit. Sie kommt von ganz allein beim „Breitbeinig sitzen“.
Für diese Übung dürfen wir auf zwei Bänken Platz nehmen. Schon die Aussicht auf den Wendelsteingipfel macht uns Flachländer aus dem Gäuboden glücklich. Kühe lassen auf der Weide vor uns ihre Glocken bimmeln, hinter uns klappert eine Pferdekutsche vorbei. Aber Dr. Croos-Müller wünscht unsere Aufmerksamkeit. „Machen Sie die Beine breit und fühlen Sie mit den Händen, wie sich Ihre Oberschenkel von innen anfühlen.“ Sie macht es vor und gibt gleich selbst die Antwort: „Schön saftig!“ Ja, weich und locker. „Und jetzt schlagen Sie die Beine übereinander.“ Die Finger ertasten viel härtere, angespannte Muskeln. Diese Spannung wird von den Nervenbahnen ins Gehirn getragen, erklärt die Ärztin – sie macht auch dort angespannt. Breitbeiniges Sitzen dagegen entspanne und gebe Kraft. Eine Übung, die man sogar im Büro, am Frühstückstisch oder vor dem Fernseher machen kann. Und: „Auch Frauen sollten sich breitbeinig hinsetzen!“ betont Dr. Croos-Müller.
Wir werfen auf dem Weg unsere Sorgen über die Schulter, fliegen wie die Wildgans und reiben unser Brustbein. Wir saugen Luft ein wie durch einen Strohhalm, schnauben sie wieder aus wie ein Pferd. All dies sendet positive Signale des Körpers an unser Gehirn, wir haben Spaß dabei. Und diese Übungen musste auch der Bad Feilnbacher Gemeinderat machen, als Dr. Croos-Müller ihre Idee des „Body2Brain“-Wegs präsentierte. Die Gemeinderäte sollten durch eigene Erfahrung verstehen, denn „ein Hirn ohne Körper erlebt nichts“, meint die Ärztin.
Die Gemeinderatssitzung führte zu zwei Dingen: Im folgenden Fasching wurde sie als Sketch aufgeführt und der „Body2Brain“-Weg wurde genehmigt und angelegt. Er ist nun seit fünf Jahren ein Baustein in Dr. Croos-Müllers Kampf für die psychische Gesundheit ihrer Mitmenschen. Der Begriff der Psyche sei in Deutschland „negativ besetzt und schambehaftet“, sagt sie und spielt beim Erzählen mit langen Gräsern am Wegrand. Dabei müsse man auf seine seelische Gesundheit genauso achten, wie auf die körperliche. Und zwar nicht erst, wenn es zu spät ist.
Die Übungen des „Body2Brain“ Wegs und zahlreiche Ratgeber der Bestsellerautorin Croos Müller helfen den Menschen dabei. Sie sollen resilienter machen, um auch in Krisenzeiten stabil zu sein. Wer die kleinen Tricks für mehr Glück verinnerlicht, kann etwas für sein Wohlbefinden tun – egal, wo er sich gerade befindet.
„Kopf hoch“ heißt das Motto und auch die letzte Übung. Um die Wirkung zu verstehen, machen wir einen kleinen Test: Alle senken den Kopf, als schauten sie auf ihr Handy, und sollen dann sagen „Ich bin so glücklich!“ Die Worte wollen nicht richtig heraus, scheinen im eingeklemmten Kehlkopf hängen zu bleiben. Der Satz klingt gequetscht und absolut nicht überzeugend. Jetzt muss ich das Kinn in die Luft recken. Ich blicke in grüne, von der Abendsonne durchbrochene Baumwipfel. „Und jetzt sagen Sie bitte: ich bin so unglücklich!“, fordert Dr. Croos-Müller. Das versuche ich, aber mein Mund verzieht sich dabei zu einem Grinsen, ich muss lachen. Es geht einfach nicht.
Was ist Body2Brain?
Body2Brain bedeutet übersetzt „Körper an Gehirn“ und ist ein Verfahren, um Menschen psychomental zu stärken. Die körperpsychotherapeutische Methode hat Dr. Claudia Croos Müller während ihrer Arbeit als Ärztin für Neurologie, Nervenheilkunde und Psychiatrie im Rosenheimer Klinikum entwickelt.
Oft schickten Kollegen depressive Patienten etwa nach Herz-Operationen zu ihr und sagten: „Er darf keine Antidepressiva nehmen – aber machen Sie mal.“ So beobachtete Croos-Müller ihre Patienten mit den verschiedensten organischen Leiden ganz genau und stellte bestimmte typische Bewegungsmuster fest. Herzpatienten mit langen Schnitten im Brustbereich etwa gingen gebeugt und angespannt – aus Angst, die Wunde könnte aufplatzen. Diese Haltung, meinte die Ärztin, schlage sich auf die Stimmung nieder. Sie ließ die Patienten morgens, mittags und abends fünf Minuten ganz locker in der Hüfte und mit aufgerichtetem Oberkörper den Flur entlang schwingen. Die Patienten fühlten sich ermutigt und beschwingt. Die Grundidee der Übung „Hüftschwung“ war entstanden. So entwickelte Dr. Croos-Müller Stück für Stück ihr „Body2 Brain“-Konzept, das auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aus Untersuchungen zur Wechselwirkung von Körper und Psyche basiert.
Durch die Vernetzung des zentralen Nervensystems in Gehirn und Rückenmark mit dem peripheren Nervensystem, zu dem die Nerven in Armen, Beinen und Organen gehören, kann der Körper nichts erleben oder tun, ohne dass das Gehirn dazu ein positives oder negatives Gefühl entwickelt. Gleichzeitig werden dazu passende Hormone und Neurotransmitter gebildet, die uns glücklich machen oder in Stress versetzen. Genau dieser Mechanismus wird von den „Body2Brain“-Übungen gezielt beeinflusst.
Mit Hilfe einfacher, alltagstauglicher Bewegungen und Körperhaltungen lernten die Patienten von Dr. Croos Müller, Angst, Unruhe, Schmerzen oder Wut besser zu kontrollieren. Sie waren ihrer Situation nicht mehr hilflos ausgeliefert. „Selbstwirksamkeit ist ein wertvolles Element psychomentaler Gesundheit“, sagt Dr. Croos-Müller.
Dass die Methode funktioniert, liegt auch daran, dass unser Gehirn sich nicht gleichzeitig auf mehrere Dinge konzentrieren kann. Selbst wer eine Stinkwut im Bauch hat, tut sich schwer, wütend zu bleiben, wenn er etwa wie ein Gummiball durch die Gegend hüpft – und so Groß- und Kleinhirn derart „lustvoll beschäftigt“, dass sie Mühe haben, überhaupt Wut aufrecht zu erhalten.
Die kinderleichten körperlichen Bewegungen wie Hüpfen, Lachen oder bestimmte Atemtechniken aktivieren gezielt Regionen im Gehirn, die für positive Gefühle zuständig sind. Das Ziel ist, die Menschen zuversichtlicher und stabiler zu machen – und damit bereit »für das Leben und seine Herausforderungen«.