Kneippen umfasst fünf Elemente: Wasser, Bewegung, Lebensordnung, Ernährung und Heilpflanzen. Der ganzheitliche Ansatz, insbesondere in der Kneipp-Kur, stärkt das Immunsystem, Körper und Psyche und regt die Selbstheilungskräfte an. Eine umfassende Fitness und überdurchschnittliche Stressresistenz sind das Resultat. Jeder kann es einfach und günstig anwenden – vorbeugend und schmerzlindernd. Bayerns Bestes stellt die fünf Säulen der Lehre vor.
Wasser: Barfuss. Sinnlich. Frei.
Pulvriger Schnee, taufeuchtes Gras – schon der Gedanke, sich barfuß in die weiche Kälte zu wagen, hat etwas Aufregendes. Die bloßen Füße den kalten Grund spüren zu lassen. Wenn sich Kinder oder Verliebte übermütig mit Schnee einreiben oder einen Eiswürfel in den Nacken stecken, fühlt sich das genauso belebend an. Tausend Nadeln weichen wohliger Wärme.
„Am Anfang jeglicher Abhärtung steht das Barfußlaufen“, postulierte Kneipp. Es wirkt ausgleichend auf das Nervensystem, stimuliert Kreislauf und Beckenorgane. Was im Sommer das Wassertreten ausmacht, kann man in der trüben Jahreshälfte fast überall erleben.
Kneipparzt Thomas Riefler sagt: „Wasser ist nur der Träger für den Reiz. Viel wichtiger ist jedoch die Reizantwort. Eine trainierte Immunantwort reagiert schneller und kräftiger. Kommt ein Stubenhocker in den Regen, kennt der Körper die Antwort auf Wind, Wasser und Kälte nicht. So unterscheiden sich auch Fahrrad und Ergometer.“ Aufgabe des Arztes und des Kneipp-Bademeisters sei es, Patienten individuell mit sanften, mittleren oder starken Reizen abzuholen. Dazu gibt es über 120 Wasseranwendungen – Güsse, Wickel, Waschungen, Bäder.
Motivation. Bewegung. Sport.
„Alles ist besser als stehenbleiben“, appelliert Thomas Riefler an die Bewegungsmuffel, „das wäre ein Rückschritt. Motivation ist das Wichtigste“.
Ob Schwimmen, spazieren, bergauf radeln, Gymnastik oder Tanzen, solange man leicht ins Schwitzen kommt, sei wie beim Wasserreiz jede Art der Bewegung individuell dosierbar durch Tempo, Gewichte, Strecke und Dauer. Solange es nicht Leistungssport ist, beugt das chronischen Erkrankungen vor. Kneipp verglich anschaulich: „Wenn das Wasser immer ruhig und stille steht, wird es bald faul; wenn ein Pflug nicht gebraucht wird, wird er bald rostig“. Im Vergleich zu vor 150 Jahren überwiegen heute sitzende, leichte Tätigkeiten. Viele Zivilisationskrankheiten, Übergewicht, Rückenschmerzen sind die Folge. Die Glückshormone Dopamin, Endorphin, Serotonin waren Kneipp unbekannt, richtig beobachtet hatte er die schmerzstillende Wirkung, das gute Gefühl, die stabilere Psyche, die sich bei regelmäßiger Bewegung – idealerweise an der frischen Luft – einstellen.
Mit Spaß – besser öfter und kurz, als einmal und lang – den Kreislauf auf Trab halten, ohne sich zu überanstrengen, ist der Schlüssel zum Glück. Ganz nach Belieben, als Abwechslung im Alltag. Abschließendes Dehnen entspannt und hält beweglich.
Innere Balance. Lebensordnung. Ruhe.
„Wenn Ihr nicht so stinken würdet, müsst ich nicht so viel rauchen!“, soll Kneipp geantwortet haben auf die Frage, wieso er als „Gesundheitsapostel“ so viel rauche. Kneipparzt Riefler erklärt: „Kneipp war auch nur Mensch – vorher ein absolut armer Kerl, dann kritisiert und schließlich hat er es im Leben geschafft, hat seinen Spitz, Essen, seine Bienen und die Zigarre – das will er sich nicht nehmen lassen. ‚Lass mi in Ruh, rutsch mir den Buckel nunter und kümmer dich um dein Eigenes‘, sollte das heißen.“ Ein Beispiel für inneres Gleichgewicht.
Für sich und seine Überzeugungen einstehen, in der Balance zwischen Leistung und Erholung, Anspannung und Entspannung, Schlaf und Wachsein, das ist gesund. Ob der Kopf von Sorgen wegen Corona, Streit oder Überlastung frei wird durch Yoga, Aktivität, Joggen oder Aufräumen, ist persönliche Freiheit. „So geht die Bewegung in Ordnung über“, sagt Riefler.
Denn keine der fünf Kneipp Elemente sei ohne die andere denkbar. Mit bewusster Tagesgestaltung brachte der Arzt wieder Ordnung ins Leben von Familien auf Mutter-/Vater-Kind-Kuren. Bei psychovegetativer Belastung ein wichtiger Effekt. Denn schon fünf Minuten Ruhe hat eine messbare Wirkung auf die Zellteilung. Ein Buch lesen, aus dem Fenster sehen, liebevoll kochen fördert diese Psychohygiene ebenso wie soziale Kontakte, der Abend unter Freundinnen mit Prosecco.
„Ich bin gläubig, Wunder sind nur notwendig für Leute, die nicht gläubig sind“, sagte Kneipp. Als katholischer Geistlicher fand er Ruhe in der Religion. Zuhören, aussprechen lassen, zusprechen, war sein Anliegen. In den Grundsätzen ist dies jederzeit modern interpretierbar.
Ernährung. Nahrung, Genuss.
„Jeder Karren braucht Schmiere und der Körper braucht Fett“, sprach Kneipp. Außerdem: man solle genügsam sein. Das Thema ist wichtig. Nach Studien der WHO sind 60 Prozent aller Zivilisationskrankheiten durch Ernährung beeinflussbar.
Die von Kneipp gelobte „einfache, nahrhafte Kost“ entspricht heute den modernen Regeln der gesunden, ausgewogenen Ernährung: bedarfsgerecht, vollwertig, schmackhaft, regional und naturbelassen. Eine vollwertige Mischkost mit viel Obst, Gemüse, Getreide- und Milchprodukten, einmal Fisch pro Woche und wenig Fleisch und reichlich Wasser trägt zum Gesundbleiben und Gesundwerden bei. Nach Kneipp zu essen, bedeutet bewusst zu essen – aber nicht asketisch. Ab und an ein Glas Wein oder Bier war und ist erlaubt.
Neben dem Inhalt der Speisen spielt für das Wohlbefinden auch das „Zusammensetzen“ am Tisch eine große Rolle: Freude, Ruhe und Zeit gehören ebenso zu einem Mahl wie Küchenkräuter, liebevolle Zubereitung und gesunder Genuss.
Kneipps Leibspeis, modern zubereitet: Rezept für Schwäbische Brotsuppe
Richtig genießen mit Kneipp
Von Johannes Högel
34 Rezepte von Bad Wörishofer Köchen für den Winter. Angelehnt an die Lehre Kneipps zeigen sie, wie saisonale Produkte einfach und fein zubereitet werden können.
Erhältlich in Bad Wörishofen, im Buchhandel oder unter www.mindelheimer-zeitung.de/shop
Verlag Hans Högel KG, 2018 | 13,50 Euro
Heilpflanzen. Phytotherapie. Medizin
Thymian hilft bei Husten und Erkältungen, Zitronenmelisse wirkt beruhigend und schlaffördernd, der Duft von Pfefferminzöl lindert Kopfschmerzen, Zitronenöl regt den Geist an, Kamille beruhigt Magen und Darm. Hausmittel, die jeder kennt.
Dennoch: „Die Pflanzentherapie ist gerichtete Therapie nach medizinischer Diagnose“, sagt Thomas Riefler. Das Wissen um die heilende Wirkung von Kräutern und Pflanzen basiert auf jahrhundertealter Erfahrung kombiniert mit moderner Naturwissenschaft. Von Düften in der Aromatherapie zu Tees, über Auflagen und Einreibungen bis hin zu Tabletten als pharmazeutische Zubereitung steigert sich die Intensität. Jede Konzentration, jede Darreichung kann andere Wirkung haben.
Vor rund 150 Jahren hat Sebastian Kneipp rund 40 Pflanzen eine heute wissenschaftlich belegte Wirkung ohne Nebenwirkungen zugeschrieben. Er schätzte die kostenlose, unverfälschte grüne Apotheke als Ergänzung zur Hausapotheke sehr und verwendete sie als Badezusätze, Tinkturen, Salben, Tees und Säfte. Dabei stützte er sich auf die Tradition der Klostergärten in Europa und entwickelte die Therapie weiter. Pflanzenextrakte werden in Arzneimitteln, aber auch in der Nahrungsergänzung, in Lebensmitteln und Pflegeprodukten eingesetzt.
1891 hat Sebastian Kneipp das Recht, pharmazeutische und kosmetische Produkte sowie diätetische Lebensmittel mit seinem Namen zu erforschen und herzustellen an den Würzburger Apotheker Leonhard Oberhäußer übertragen. Die Marke Kneipp® beruft sich noch heute auf Kneipps Wünsche.