Vom Roten Bellefleur und "Gelben Band", von brennenden Bayern und baumelnden Seelen
Der Pfannkuchen- und der Prinzenapfel, die Ananas- oder Champagnerrenette, der Rote Bellefleur und der Charlamowsky haben etwas gemeinsam: Die Äpfel mit den klangvollen Namen wachsen auf Bayerns Streuobstwiesen. Sie versprechen ein außergewöhnlich aromatisches Geschmackserlebnis – und halten es auch. Da entfalten sich im Mund feine Zimtaromen oder eine zarte Muskatwürze, oder es schmeckt gar nach Himbeere oder Rose. Jede der etwa 2000 alten Obstsorten, die im Biotop Streuobstwiese wachsen, hat ihre ganz eigene Genussformel und deutlich mehr Nährstoffe als ein Plantagenapfel. Das liegt daran, dass die hochstämmigen Bäume der Streuobstwiese dank der größeren Kronen über eine größere Blattfläche verfügen. Außerdem regulieren die alten Sorten die Zahl ihrer Früchte selbstständig.
Je mehr Ressourcen also zur Verfügung stehen, desto mehr Äpfel hängen am Baum – Überbehang ausgeschlossen. Dadurch gelangen mehr wertvolle Inhaltsstoffe in die einzelne Frucht, unter anderem die für die gesundheitsfördernde Wirkung der Äpfel wichtigen Polyphenole. “An apple a day keeps the doctor away”: Frisch vom Baum ist der Streuobst-Apfel ein gesunder Genuss. Aber auch als Direktsaft schonend gepresst, als Saftschorle, Secco, Sekt, Edelbrand oder auch als Essig schmeckt der ungespritzte, erntefrisch verarbeitete Apfel hervorragend.
Wer will denn Äpfel mit Birnen vergleichen?
Neben dem liebsten Obst der Deutschen, dem Apfel, baumeln an Bayerns Streuobstbäumen selbstverständlich auch Birnen und Kirschen, seltener Quitten, Renekloden und Walnüsse. Tafelbirnen sind zwar im Anbau sensibler als Äpfel, da sie druckempfindlich sind und leicht verderben. Aber in Sachen Gesundheit und Geschmack stehen sie dem deutschen Frucht- Liebling in nichts nach. Sie enthalten die Vitamine A, C, E und F, dazu Kalium, Kalzium und Magnesium. Die Kombination von weniger Säure und etwas mehr Zucker lässt Tafelbirnen süßer als Äpfel schmecken. Die robustere Mostbirne ist Grundlage für Säfte, Cidre, Seccos, Sekt sowie Brände und erfreut sich in veredelter Form zunehmender Beliebtheit. Viel kleiner als Äpfel und Birnen, nämlich rund oder herzförmig, sind die Kirschen. Geerntet werden die feinen Früchtchen in sämtlichen Variationen: Gelbe, rote und fast schwarze Sauerkirschen, Sorten mit färbendem oder weißem Saft, und Süßkirschen schmecken frisch ebenso wie als Marmelade, Saft oder Likör.
Probierbäume in Bayern
Während die Kirschen schon in den Sommermonaten gepflückt wurden, bleiben manche Apfelsorten noch bis Ende Oktober am Baum. Frisch gepflückt schmecken die alten Obstsorten, die weitestgehend ungespritzt und naturbelassen reifen, natürlich extra lecker.
Wer die oft unbekannten alten Sorten direkt vom Ast probieren möchte, findet in vielen bayerischen Landkreisen Obstbäume mit roten Banderolen oder gelben Bändern: Die Kennzeichnung ist gewissermaßen der Freifahrtschein für unbedenkliches Naschen.
Wo Bäume verschiedenster Obstsorten einvernehmlich in unregelmäßigen Abständen nebeneinander wachsen und aromatische Früchte tragen, bieten die hohen Stämme am Boden ausreichend Raum für Tiere aller Art – ebenso wie für Spaziergänger und Ausflügler, die Ruhe und Erdung suchen.
Denn hier baumelt nicht nur der Apfel völlig unberührt, sondern auch die Seele. Doch die Bilderbuch- Idylle ist bedroht: Die ökologisch wertvollen Kulturlandschaften zählen heutzutage zu den am stärksten gefährdeten Biotopen Mitteleuropas. Sie stehen vielerorts der maschinengerechten Bewirtschaftung oder etwa Bauvorhaben im Wege. Zudem können ihre Eigentümer sie wegen aufwendiger Pflege oft nicht am Leben erhalten. Heute gibt es nur knapp sechs Millionen Bäume, während es 1965 noch 20 Millionen waren. Mit Aktionen wie das »Gelbe Band« soll das Bewusstsein für die traditionelle Kulturlandschaft geschärft werden. Denn nur, wer Streuobstwiesen und ihre Produkte kennt, weiß oder lernt sie auch zu schätzen. In vielen Regionen Bayerns laden malerische Genusswanderwege sowie Erlebnis- und Lehrpfade ein. Ein entspannter Ausflug in die Natur lässt sich gerade im Herbst mit einem Besuch eines regionalen Markts oder Fests verbinden.
Winterlicher Genuss
Besonders Äpfel erleben im Winter eine zweite Hochsaison: Verfeinert mit winterlichen Gewürzen wie Zimt, Vanille und Nelken kommen die eingelagerten Früchte gebraten, gebacken und (ein-)gekocht wieder auf den Tisch. Aber auch als Brotaufstrich, fruchtiger Essig, Saft oder Schorle ist das Streuobst in den kalten Monaten ein aromatischer und gesunder Begleiter. Wenn es besonders frostig wird, wärmen würzige Glühmoste oder fruchtige Edelbrände, welche in verschiedensten Variationen erhältlich sind. Anfang November stellen die besten bayerischen Brenner der Initiative “Bayern Brand” ihre flüssigen Schätze auf dem Münchner Viktualienmarkt vor. Frei nach dem Motto “Wir brennen für Bayern!” ziehen die Ausstellenden mit ihren Bränden, Schnäpsen und Likören die Marktbesucher in den Bann, die das Faible für hochwertige Hochprozentige teilen.
TIPPS
Viele späte Apfelsorten lassen sich problemlos und bis zu einem Jahr einlagern. Am besten halten sich die Früchte in einem kühlen, aber frostfreien Raum mit möglichst hoher Luftfeuchtigkeit. Ein Keller oder die Garage eignen sich als Lager, ebenso ein schattiges Gartenhaus. Wichtig ist es, dass die Äpfel ganz trocken und frei von Druckstellen oder Wurmstichen sind, wenn sie winterfest gemacht werden. Wer eine Streuobstpatenschaft verschenkt, leistet damit nicht nur einen wertvollen Beitrag zum Erhalt des gefährdeten Biotops Streuobstwiese. Das Geschenk bereitet auch über den Moment hinaus Freude. Beim “Biomaxn” in Aiglsbach beispielsweise erhält der Bienen- und Streuobstwiesenpate nicht nur die symbolischen zehn Quadratmeter Streuobstwiese sowie dauerhaft zehn Prozent Ermäßigung auf die Produkte des Hofladens, sondern jährlich im August und September ein Pfund Bienenhonig, zwei Kilo Obst und Gemüse, einen Fruchtaufstrich und eine Flasche Likör.
Weitere Informationen: www.streuobst-blueht.de