Further Drachenstich: Der Drache speit wieder Feuer

Eine Szene aus dem Further Drachenstich, dem ältesten Volksschauspiel Deutschlands. (Foto: Andreas Mühlbauer)

Kriege, Kirche und Pandemie können den Drachen nicht besiegen: Seit über 500 Jahren kehrt er wieder und erzählt die Geschichte vom Further Drachenstich, dem ältesten Volksschauspiel Deutschlands. Dabei ist er stets ein Spiegel seiner Zeit.

Die gelben Augen blinzeln, als er in seine Höhle blickt. Besucher suchen darin Schutz vor dem Regen, um ihn, den mächtigen Drachen, zu bestaunen. Eigentlich ist er eine sie: “Franziska” oder kurz “Fanny”, wie das Drachenteam sie getauft hat. Obwohl Regenpfeile auf sie niedergehen, grinst sie – fast so, als freute sie sich über die dicht gedrängte Menge in der Falle. Auch wenn sie diejenige ist, die seit über 500 Jahren beim Further Drachenstich stirbt. Vielleicht grinst sie aber auch, weil sie weiß, dass sie (fast) jedes Jahr aufersteht.
Der Drachenstich gilt als ältestes Volksschauspiel Deutschlands und gehört inzwischen zum immateriellen Kulturerbe. So genau lässt sich die Tradition aber nicht rekonstruieren, weil einige Quellen bei bayerisch-böhmischen Gefechten zerstört wurden, erzählt Drachenführer Stefan Ege.

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Der beleibte Bayerwaldler sieht neben dem rund 16 Meter langen, über fünf Meter hohen und elf Tonnen schweren Koloss ziemlich klein aus. Bei der Führung “Bewegter Drache” im oberpfälzischen Furth im Wald spricht Ege Tschechisch und Deutsch – die Region bemüht sich um grenzüberschreitende Projekte. Das war nicht immer so. Fannys Vorfahren mussten für Propaganda der Kirche, des Nationalsozialismus und des Kalten Kriegs herhalten.

Bayerns größtes Untier stolziert auf dem nassen Asphalt. Epische Musik und eine Stimme dringen aus Lautsprecherboxen: “Die Kälte ist überall, besiege sie.” Fanny prustet Flammen aus ihren Nüstern. Rauch steigt aus ihrem Maul auf, hüllt den Kopf in Nebel, der sich hebt. Sie spannt ihre Flügel. Dann speit sie Feuer in den stahlgrauen Sommerhimmel. Heute ist der Further Drache so etwas wie ein moderner Prometheus. Er bringt den Menschen das Feuer, doch wird er böse, weil sie es werden. “Die Menschen begehren dein Feuer (…) zur Zerstörung”, dröhnt es aus den Boxen.

Zeitlose Themen und popkulturelle Phänomene

 

Theaterautor Alexander Etzel-Ragusa hat 2006 die Festspielversion modernisiert: Furth im Wald nicht mehr als Grenzstadt, sondern als grenzenlose Stadt – mit Tschechen auf der Bühne, die erstmals ihre Sicht erzählen. Das historische Gewand seit 1952: die Hussitenkriege. Inmitten der Gefechte kümmert sich die gutmütige Schlossherrin heimlich um Flüchtlinge, während die Bewohner gegen die Neuankömmlinge hetzen. Daraufhin erhebt sich der Drache erzürnt aus den Wäldern. Die Ritterin will sich ihm opfern, um ihre Untertanen zu retten. Doch ihr totgeglaubter Ritter Udo kommt dem Drachen zuvor und ersticht ihn mit seiner Lanze.

Was Etzel-Ragusa nicht wissen konnte: Zehn Jahre später sind die Themen Flucht, Vertreibung und Ressentiments immer noch aktuell. Bei seinem sagenhaften Auftritt hält der Drache das den Zuschauern wie einen Spiegel vor. Um andere brandaktuelle Drachenthemen wie Umweltzerstörung, Pandemie, neue Krisenherde in das Stück einzuflechten, sei aber wegen der späten Entscheidung, dass der Drachenstich heuer nach zwei Jahren Zwangspause stattfinden darf, keine Zeit geblieben, sagt Drachenstich-Organisatorin Lisa Kager. Die heutigen Proben fallen spontan aus – der Regisseur stecke im Verkehr bei Trier fest.
Nur so viel vorab: Die Rollen hätten sich dem Zeitgeist angepasst und etwas emanzipiert, findet Stefanie Decker, die dieses Jahr die Ritterin spielt, aber in Alltagsklamotte keine Fotos machen lassen möchte. Die Hauptschullehrerin hat den Drachenstich schon als Kind verfolgt und immer wieder mitgewirkt. “Frühere Stücke waren statischer, jetzt ist alles dynamischer. In diesem Sinne hat sich auch die Rolle der Ritterin verändert, die früher passiver war.” Das Spektakel zieht jedes Jahr mehrere Tausend Menschen aus aller Welt an. Die 29-Jährige meint zwar nicht, dass durch Fantasyserien wie »Game of Thrones« das Interesse am traditionellen Drachenstich zugenommen hat. Auf einer Werbetour mit Fanny in Amberg, zu der auch Bayerns Ministerpräsident kam, habe sie aber bemerkt, “dass Fiktives in der Realität mehr Menschen anzieht” – in diesem Fall ein Riesendrache, der hinter Markus Söder die Zähne zeigt.

Hier geht’s wirklich heiß zur Sache

 

Wenn man neben der fauchenden Fanny steht und ihre schuppige Drachenhaut berührt, könnte man fast meinen, sie wäre echt. Das dürften sich wohl auch manche Akteure denken. “Die Darsteller, die den Drachen bekämpfen, werden mit Feuerbällen beschossen”, sagt Ege. Manchmal höre sein Team sie rufen: “Oh leck, is des hoiß.” Aber verbrannt habe sich noch niemand, versichert er.

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Matthias Jell

Matthias Jell

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