Die Augsburger Puppenkiste ist eine Institution am Theaterhimmel. Von einem ehemaligen Soldaten als Tourneetheater gegründet, faszinieren die Marionetten auch noch 75 Jahre später.
Kasperl hebt seinen Zeigefinger, als wolle er seinem Publikum etwas erklären. Dabei dreht er sich und kickt den Fußball hinter sich ins Tor.
Zum Leben erweckt werden er und alle anderen Marionetten durch ein Spielkreuz mit zehn Fäden. Geführt vom Puppenspieler, der kein einziges Mal auf die Bühne tritt. Schauspieler dagegen arbeiten mit vollem Körpereinsatz. Gestik, Mimik, Stimme – all das bleibt dem Puppenspieler verwehrt. “Die Marionette beginnt im Kopf des Zuschauers zu leben”, sagt Klaus Marschall, Inhaber der Augsburger Puppenkiste und selbst jahrzehntelanger Puppenspieler. “Je weniger der Zuschauer von unserem Dasein mitbekommt, desto interessanter wird die Puppe für ihn.”

Bei der Nachmittagsvorstellung an diesem Februartag stehen sieben Puppenspieler auf der drei Meter hohen Brücke. So nennt sich das Gerüst, das im Hintergrund über die komplette Länge der Bühne reicht, und auf dem Frauen und Männer die Fäden in der Hand halten. Die Fäden, die auf der Bühne über Erfolg und Misserfolg entscheiden.
Die 222 Sitzplätze im Saal sind bis auf den letzten Platz gefüllt. Kinder rutschen ungeduldig auf ihren Stühlen hin und her, die Erwachsenen unterhalten sich. Der dunkelrote Samtvorhang gleitet mit Schwung zur Seite und gibt den Blick frei auf eine leuchtend blaue Welt mit Wasserpflanzen, Fischen und grünen Wassermännern. In “Der kleine Wassermann” freuen sich Herr und Frau Wassermann über die Geburt ihres Sohnes. Dieser erlebt mit seinem Freund Cyprinus, einem Karpfen, in seinem ersten Lebensjahr viele Abenteuer.
Stimmen und Musik kommen dabei vom Band. Puppenspieler Hans Kautzmann und seine Kollegen müssen genau abpassen, in welcher Minute ein Platschen zu hören ist und der kleine Wassermann zurück in den Teich springt. Wenn der Platz auf der Brücke zu eng wird und der Karpfen von der einen Seite der Bühne auf die andere schwimmen soll, werden einfach mal Spielkreuze an den Spieler nebenan weitergereicht. Von alldem bekommt der Zuschauer nichts mit, “es sei denn, jemand bekommt das Spielkreuz nicht richtig zu fassen und lässt es fallen. Wie es mir mal passiert ist”, erzählt Marschall bei einer Führung hinter den Kulissen. Bei solchen Missgeschicken schließt sich der Vorhang für einen kurzen Moment und das Set wird wieder eingerichtet.
Auch Markus Söder tanzt an den Fäden
1982 fing Marschall in dem Familienunternehmen, das sein Großvater Walter Oehmichen vor 75 Jahren gründete, als Puppenspieler an. Zehn Jahre später übernahm er die Theaterleitung und wurde Inhaber einer Institution, die ganze Generationen prägte. “Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer, oder Urmel aus dem Eis sind solche Klassiker, die bei vielen Menschen gleich das Kopfkino anschmeißen”, sagt Marschall. Diese Stars der Augsburger Puppenkiste kann man heute im Museum im ersten Stock der Spitalgasse 15 in Augsburg besuchen. Aber auch alle anderen Marionetten, die in der Schnitzwerkstatt des Marionettentheaters aus Lindenholz gefertigt wurden, werden aufbewahrt. “Wir haben rund 6 000 verschiedene Marionetten”, sagt Marschall, während er durch zwei Lagerräume führt. Jeder Winkel wird ausgenutzt: Hexen, Kasperl, Polizisten, Löwen und auch Politiker hängen hier in Folie eingewickelt an Holzstangen und warten auf ihren nächsten Auftritt. Angela Merkel legt die Hände zu einer Raute aneinander, Theo Waigel zieht die Augenbrauen hoch und auch der amtierende bayerische Ministerpräsident Markus Söder lugt unter den Marionetten hervor. “Für unsere Kabarett-Veranstaltungen schnitzen wir auch bekannte Persönlichkeiten. Die kommen dann auch mal vorbei und schauen sich
ihr Double auf der Bühne an.”

400 mal pro Jahr hebt sich der Vorhang
Marschall hält heute nur noch selten das Spielkreuz einer Marionette in den Händen. Zu umfangreich sind die Verwaltungsaufgaben eines Betriebes mit 40 Mitarbeitern und 90.000 Besuchern bei 400 Vorstellungen im Jahr. Eines lässt er sich aber nicht nehmen: Dem Kasperl leiht er vor laufenden Kameras seine Stimme. Ein Filmteam des FC Augsburg ist auch an diesem Tag zu Gast und dreht kurze Clips für die nächsten Spiele des Fußballvereins, in denen der Kasperl seinen Tipp abgibt. 2:0 soll das bevorstehende Spiel gegen Werder Bremen ausgehen. Während Marschall hinter dem Mikrofon in seiner Stimmlage zwei Oktaven höher rutscht, zieht Puppenspieler Kautzmann eifrig an den Fäden: Der Kasperl gestikuliert mit seinen Armen, neigt den Kopf mit seinem gestreiften Spitzhut, geht in die Knie und schießt sogar einen Fußball ins Tor. Puppenspieler Kautzmann und Sprecher Marschall schenken der Puppe Leben – wenn auch nur für wenige Minuten. Aber die reichen, um ganze Generationen in den Bann des Marionettentheaters zu ziehen.
Mehr über die Augsburger Puppenkiste, die Stars der Kiste und ein Interview mit dem Kasperl gibt es in der Ausgabe 02/2023.
Für die Vorstellungen in der zweiten Jahreshälfte 2023 beginnt der Vorverkauf voraussichtlich am 29. April um 10 Uhr an der Theaterkasse in der Spitalgasse 15 in Augsburg. Ab 12 Uhr sind auch Ticketbestellungen online möglich.
Mehr zum Spielplan unter: www.augsburger-puppenkiste.de

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