Gesundheit erhalten, den Menschen als Ganzes erfassen und in Balance bringen, das ist das Konzept der TCM, der Traditionellen Chinesischen Medizin. Seit Jahrtausenden werden ihre Verfahren erprobt und verfeinert. Wir stellen die Idee und ihre praktische Umsetzung in Bayern am Beispiel der TCM-Klinik in Bad Kötzting vor.
Hoffnung für chronisch Kranke
Anfang der 1990er Jahre entstanden in Bayern Kliniken, die mit chinesischen Universitäten in Peking und Nanjing kooperieren. Ergänzend zur Schulmedizin therapieren sie vor allem chronische Krankheiten. “TCM ist ein umfassendes Heilsystem für alle Krankheitsbilder”, erklärt Dr. Stefan Hager, ärztlicher Leiter der TCM-Klinik in Bad Kötzting, “das sich von der Volksheilkunde zur universitären Medizin entwickelt hat. Sie bringt Yin und Yang ins Gleichgewicht und verbessert den Fluss der Lebensenergie Qi. Arbeiten die Organsysteme wieder harmonisch zusammen, wird der Patient gesund.” Die TCM-Behandlung ruht auf fünf Säulen: Chinesische Arzneimitteltherapie, Akupunktur, Körpertherapie Tuina, Übungen von Qi-Gong und Taiji sowie Ernährungslehre.
Auf Spurensuche nach der Lebenskraft Qi
Viele TCM-Begriffe sind wissenschaftlich schwer fassbar, in MRT oder Blutbild nicht direkt sichtbar. Man kann sie als Denkgebäude sehen, die die Funktion, das Zusammenspiel der Kräfte in Natur und Körper, veranschaulichen oder sie als feinstoffliche Qualität bezeichnen. Prof. Jingzhang Dai, Internist und leitender chinesischer Arzt der TCM-Klinik in Bad Kötzting, sitzt im Besprechungsraum.
Der 57-Jährige wirkt agil, lächelt verhalten. Es ist wohl nicht leicht, in Kürze Zusammenhänge zu erklären, die man jahrelang studieren muss. Das, was man nicht anfassen kann. “Das System, die Theorie, die Idee sind völlig verschieden.” Man könne die Lebensenergie nicht sehen, aber sehr wohl spüren. Warum sollen Studien überhaupt zeigen, was in Asien millionenfach im Alltag am Patienten eingesetzt, quasi in einer Dauerstudie getestet wird? Schließlich würden die Ärzte in China, Vietnam, Korea und Japan ihre Erfahrungen laufend austauschen.
Das Heidelberger Modell
Für die Forscher erklärt das Heidelberger Modell das System der TCM wissenschaftlich mit der Regulation des autonomen Nervensystems. Dieses Konzept braucht zu ihm passende Messmethoden. Studien, die die Wirkung messen, also etwa den
Grad der Gelenkneigung oder die Temperatur der Haut, belegen den Erfolg der TCM.
Die chinesische Heilkunde betrachtet den Menschen in seiner Gesamtheit, ganzheitlich, über das Krankheitsbild hinaus. Der Fluss der Lebenskraft Qi und des Blutes, die Einheit von Körper und Geist, stehen im Fokus. Der Körper wirkt auf die Psyche, Emotionen auf den Körper. Sagt der Bayer “dem is a Laus über d’Leber g’laufen”, zu einem Grantler, einem verärgerten Menschen, so spricht der Chinese vom gestauten Leber-Meridian, der sowohl die gestörte Organfunktion als auch die Emotionen Ärger, Wut, Frust und Depression verantwortet. Die TCM beschreibt den ganzen Wirkkreis: Aus-wirkung, Symptome, Behandlung.
Integrative Medizin als Königsweg
Die bayerischen Kliniken verfolgen ein integratives Konzept: Schulmediziner und TCM-Ärzte arbeiten eng zusammen. In Bad Kötzting kommt die Psychotherapie hinzu. Nach der westlichen Anamnese folgt die chinesische Diagnose: Das äußere Erscheinungsbild, Haltung, Geruch, Gesichtsfarbe geben Hinweise auf innere Vorgänge. Zungen- und Pulskontrolle folgen. Erfahrene Ärzte erfühlen an drei Stellen des Handgelenks mehr als 30 Pulsqualitäten, ihre Geschwindigkeit, Länge, Rhythmus, Kraft. Auf der Zunge spiegelt sich jedes Organ. Ihre Oberfläche, die Venen an der Unterseite, Größe, Form, Bewegung, Belag, Feuchtigkeit und Farbe sind Zeichen der psychischen und physischen Gesundheit. Eine blasse, bläuliche Zunge beispielsweise zeigt, dass im Körper zu viel Kälte und Stagnation herrscht, eine Yang-Schwäche oder Qi-Schwäche. Darüber hinaus werden Lebensweise, Befinden, Schlaf und Beschwerden erfragt. Die feine Diagnostik macht eine gezielte Selbsttherapie sehr schwer.
Auf jedes dieser Systeme wirken viele Einzelfaktoren. So kann eine Krankheit wie Migräne fünf verschiedene Ursprünge haben. Prof. Dai zählt auf: Yin-Mangel in Leber oder Niere, Qi-Stau, Wind-Schleim oder Yang-Fülle am Gallenblasen-System. So ergeben sich verschiedene Therapien. “Wo die Schulmedizin das Symptom, den Schmerz, feststellt, und dagegen erst Aspirin, dann Ibuprofen und schließlich starke Medikamente verschreibt, analysiert TCM den Ursprung des Schmerzes anhand der Zeichen: ist die Zunge trocken oder rot, wie fließt das Qi und wie verschleimt ist der Patient”, beschreibt Dr. Hager. Denn verschleimt kann man nicht nur bei Husten sein.
Nässe und Schleim als Ursache
Sind Milz und Magen, “die Mitte”, als Funktionskreis geschwächt, so wird der Körper nicht ausreichend versorgt und “Tan”, Schleim, bildet sich. Dies umfasst alle unerwünschten Substanzen, die sich auf Dauer den Abbau- und Ausscheidungsaktivitäten des Körpers entziehen. Sie häufen sich über die Jahre an, sinken in die unteren Körperpartien und lagern sich an Gewebestrukturen
oder Kapillarwände. Ihr entzündliches, gewebeschädigendes Potential beeinträchtigt die Mikrozirkulation im Gewebe. Sind Ver- und Entsorgung erst einmal behindert, verstärkt sich dieser Prozess selbst. Naturwissenschaftlich betrachtet wird angenommen, dass es sich um körpereigene
Eiweiß-Moleküle oder deren Fragmente handelt. In Frage kommen zirkulierender “Immunabfall” aus Alltagsentzündungen, funktionsuntüchtige Immuneiweiße oder Überreste aus der Zellerneuerung.
Gute Erfolge bei schweren Fällen
Prof. Dai merkt an, dass seine Patienten meist schwer krank in die Klinik kämen, ihre Krankheit sich schon jahrelang verfestigt habe. Dennoch berichten etwa 60 Prozent nach dem Klinikaufenthalt, sie
seien sehr zufrieden oder zufrieden. Die Gesamtkonstitution sei viel besser. Beispielsweise auch bei Migränepatienten, denen bisher kein Medikament geholfen habe – das ist statistisch immerhin bei
30 Prozent der Fall. Wie gelingt das? Die TCM-Behandlung ruht auf fünf Säulen: Chinesische Arzneimitteltherapie, Akupunktur, Körpertherapie Tuina, Übungen von Qi-Gong und Taiji sowie Ernährungslehre. Während die ersten nur bei Krankheiten zum Einsatz kommen, dienen Qi-Gong und Ernährung auch der Prävention.