Der Zoigl – viel mehr als Bier

Der Genuss zum mit nach Hause nehmen. Foto: Chris Sternitzke

Wenn auf dem Kommunbrauhaus in Windischeschenbach der Schlot raucht, ist es so weit: Die Wirte aus dem Oberpfälzer Wald brauen den Zoigl ein. Der Zoigl ist weit mehr als ein Getränk: Lebenskultur und seit Dezember 2019 immaterielles Kulturerbe Deutschlands.

Mit rotem Kopf steht Wirt Robert Sperber in seiner Zoiglstube im nordoberpfälzischen Windischeschenbach vor seinem goldenen Zapfhahn. routiniert befüllt er Krug um Krug mit dem bernsteinfarbenem Zoiglbier. es ist erst 15.30 Uhr, und dennoch sitzen schon etwa hundert Gäste an den Holztischen und warten auf ihr frisches Seidl, wie hier gerne das Bier im Halbliter-Krug genannt wird.
Seit 1993 führt der stämmige Bayer die Zoiglstube „Beim Binner“. Die Ausschank-Tradition reicht in seiner Familie bis ins Jahr 1880 zurück. In der Fünftausend- Einwohner-Stadt ist Sperber einer von 14 Wirten, die regelmäßig Zoigl anbieten. Immer mehr Leute schreiten durch den Türrahmen mit dem Schild „Hopfen + Malz – erhalt’s“, in die beiden Haupträume, die Wohnräumen ähneln: Ein grüner Kachelofen, eine alte, tickende Wanduhr, viele Bilder zieren die Wände. In einem dritten Raum steht sogar noch eine Küchenzeile. Früher verwandelten die brauenden Bürger für ein paar Tage im Jahr tatsächlich das Wohnzimmer in eine Wirtsstube. Viele Holzhobel in der Stube stehen für die Familientradition.
Hartmut Hogen befeuert die Holzheizung im Kommunbrauhaus: Einer der ersten Schritte, dass der Zoigl entstehen kann. Foto: Chris Sternitzke

„Wir waren Fassbinder. Deshalb heißt meine Stube auch „Beim Binner“, erklärt der 54-jährige Wirt. Er war früher Schreiner von Beruf, arbeitet aber nun als Friedhofswärter. Wie alle anderen Zoigl-Wirte betreibt Sperber die Stube im Nebenerwerb. Sie schenken gewöhnlich einmal im Monat für vier Tage ihr Bier aus. Die Termine sprechen sie miteinander ab.

 

„Vor dem Zoigl sind alle gleich“

 

Freie Tische werden rar, aber das macht nichts: „Man gëit am Zoigl und setzt se dazou“, sagt Besucherin Maria. Das Dazusetzen ist ein Merkmal der Zoiglwirtschaften – im Gegensatz zu Restaurants und Wirtshäusern der Region: Es bestehen keine Eitelkeiten, Reservierungen gibt es nicht. Alle rücken zusammen, egal ob alte Bekannte oder Menschen, die sich vorher noch nie im Leben gesehen haben. Das bestätigt der Nürnberger Alfons, der mit seiner Frau Sonja mehrmals im Jahr „am Zoigl“ geht: „Hier gibt es keine Berührungsängste, das finde ich toll. Wenn bei uns in Franken sechs Leute in eine Wirtschaft gehen und nur fünf Tische frei sind, gibt es ein Problem“, scherzt er. Traditionell sind auch die Oberpfälzer eher verschlossen, doch schnell entstehen Gespräche und die Menschen interessieren sich füreinander.

Wirt Robert Sperber zapft Bier in seiner Zoiglstube im nordoberpfälzischen Windischeschenbach. Foto: Chris Sternitzke
Als kurz vor 17 Uhr Christoph und seine Freunde in die Stube kommen, sitzen bereits Familien mit Kleinkindern, Paare mit Hunden oder auch Senioren über 80 Jahre an den Tischen. Die jungen Männer bekommen gerade noch einen Platz. Nun ist die Wirtschaft mit etwa 170 Gästen picke-packe-voll. Es gibt aber auch wesentlich kleinere Zoiglstuben: In der Wirtschaft „Zum Roud‘n“, der ursprünglichsten im Ort, sitzen die Gäste ausschließlich im Esszimmer der Familie. Christoph, 28, Ingenieur, ist Stammgast „am Zoigl“, wie auch Hausmeister „Hogi“, nur wenige Plätze entfernt. Otto und Rudi, zwei andere Zoiglwirte, sind auch da. Alle kommen zusammen, getreu nach der Oberpfälzer Weisheit „Vor dem Zoigl sind alle gleich“. Viele Einheimische sitzen „Beim Binner“, aber keineswegs ist der Zoigl nur ein Treff der Hiesigen. Menschen wie Sonja und Alfons, die etwa eineinhalb Stunden angereist sind, sind immer unter den Gästen.

Die Atmosphäre ist das eine, was den Besuch ausmacht. Eine wichtige Rolle spielen aber natürlich auch das Bier und die Brotzeiten. „Das Bier ist einfach gut“, sagt Christoph über den Zoigl, der etwas würziger schmeckt als Pils oder Helles. Noch dazu ist das Bier günstig: Im Ort kostet der halbe Liter 1,90 Euro. Schmackhaft sind die Brotzeiten, die vom klassischen Leberkäse bis hin zu Speisen reichen, die dem Zoiglneuling unbekannt sind. Wie der „Saure Käse“, ein in Essig eingelegter Bauernkäse mit Zwiebeln. 

 

Es ist etwa 19 Uhr. Bei all dem Stress nimmt sich Sperber ruhige Momente für Späße mit den Gästen. Feierabend ist für ihn noch lange nicht, oft wird es zwei Uhr nachts. Vorbei an seinen beiden Küchen geht Sperber zum Kühlraum. Dort stehen zwei große silberne Gärbottiche und sechs kleinere Lagerbottiche. In den großen Tanks geht die Vergärung vonstatten, also die Umwandlung des Malzzuckers in Alkohol und Kohlensäure. Verantwortlich dafür ist die untergärige Hefe, die der Würze beigemischt wird. Das ist auch das Besondere des traditionellen Zoigls im Vergleich zu herkömmlichen Bieren: die Vergärung und die Herstellung der Würze an zwei unterschiedlichen Orten. Mit dem Thermometer und prüfenden Augen überwacht Sperber die Vergärung. Alles läuft nach Plan beim Jungbier, auf der Oberfläche sind prächtige Schaumgebilde entstanden, die sogenannten Kräusen.

 

Hexenküche ohne Hexerei 

 

Neun Tage zuvor wurde für das Jungbier die Würze angesetzt: Es ist kurz nach neun Uhr im kleinen Brauhaus. Hartmut „Hogi“ Hogen, der mit Robert Sperber den Zoigl herstellt, hat die analoge Temperaturanzeige am Sudkessel im Blick. Malzauswahl und Mischverhältnis sind Teil des Rezepts, das sich von Wirt zu Wirt unterscheidet und jedem Zoigl seinen eigenen Geschmack und seine eigene Farbe verleiht. Das Einmaischen beginnt: 500 Kilo Malzschrot schießen in den mit warmem Brauwasser gefüllten Maischebottich.

Klar fließt die Vorwürze beim Läutern aus den Messinghähnen. Ein Messingsieb hat vorher die Getreiderückstände herausgefiltert. Foto: Chris Sternitzke
Kurz darauf öffnet Hogi den Kessel. Innerhalb von wenigen Sekunden hüllt sich das Brauhaus in Wasserdampf. Es riecht süßlich nach feuchtem Getreide und erinnert an eine Hexenküche. Doch für Hogen, gelernter Elektriker und als Hausmeister tätig, hat Brauen nichts mit Zauberei zu tun: „Das ist alles kein Hexenwerk. Man muss eigentlich nur die Zahlen kennen, rechnen und die Uhr lesen können.“ Beim Brauen mit den traditionellen Geräten sind zudem Gefühl und Erfahrung wichtig. Beim Maischen wird die Stärke im Getreide weitgehend zu Malzzucker umgewandelt. Mineralstoffe, Vitamine und Teile des Eiweißes werden gelöst. Dafür wird sie auf verschiedene Temperaturstufen erhitzt. Nach etwas mehr als etwa eineinhalb Stunden schöpft Hogi ein paar Milliliter der Maische aus dem Kessel und schüttet sie auf einen Teller. Hinzu gibt er zwei Tropfen Jodlösung. Nichts färbt sich –die Verzuckerung ist abgeschlossen. Ein Teil der Maische läuft nun zurück in den Maischebottich: Bevor der andere Teil zurücklaufen kann, wird er langsam zum Sieden gebracht.

Wie Zuckerwatte schmeckt die Vorwürze

 

 

Nachdem die Teilmaische den Siedepunkt erreicht hat, folgt das Läutern. Feste und flüssige Bestandteile werden voneinander getrennt. Im Erdgeschoss bedient Hogen sorgfältig drei Messinghähne am Maischebottich mit leichtem Tippen. So steuert er die Fließgeschwindigkeit. Ein Messingsieb sorgt dafür, dass die Getreiderückstände im Maischebottich bleiben. Zugleich ist es der einzige Filter im Brauprozess. Hogi testet die Vorwürze, zu der die Maische geworden ist: „Mmhhh, wie Zuckerwatte früher auf dem Volksfest“, sagt der Mittvierzieger. Robert Sperber steht parat, um die Maische mit dem Anhänger zum Bauern zu bringen. „Die Rinder sind verrückt danach. Die riechen das kilometerweit gegen den Wind“, lacht Hogen. 

 

Im ersten Stock steht noch ein Arbeitsschritt an: Im Sudkessel wird die Würze gekocht und mit drei Hopfenbeigaben versetzt. Es blubbert und zischt wie in einem riesigen Suppenkessel. Nach zehn Minuten kippt Hogi drei Kilo Hopfenpellets der Sorte „Hallertauer Perle“ in den Sudkessel. Für kurze Zeit verfärben sich die über 3000 Liter Würze giftgrün. Etwa neunzig Minuten später gibt Sperber das Kommando zum „Ausschlagen“, dem Umpumpen in das Kühlschiff unter dem Dach des Brauhauses. Kurz darauf ist für Hogen und Sperber der Brautag beendet. Auch das Bier hat nur noch eine kurze Halbwertszeit im Kommunbrauhaus. Bereits am nächsten Morgen holt es der Wirt zur Vergärung nach Hause. Die Zoigl-Enthusiasten in Sperbers Stube brauchen nun Geduld, schließlich braucht das Bier seine Zeit: „Nach vier Wochen könnte man das Bier ausschenken. Die ideale Lagerzeit beträgt acht bis zehn Wochen“, sagt der erfahrene Wirt.

 

Weitere Informationen: www.zoiglbier.de

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Matthias Jell

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