Der einzige Bergbrenner Europas stellt in den Berchtesgadener Alpen edle Spirituosen für die älteste Enzian- und Bergbrennerei Deutschlands her: Wir waren mit Max Irlinger auf der Brennhütte am Priesberg der Brennerei Grassl.
Fragt man Max Irlinger nach seiner Arbeit als Bergbrenner, zeigt er gleich, dass er mit Herzblut bei der Sache ist: „Voi schee“ und „Ois macht ma da Spaß“, sagt er. Wir treffen den 30-Jährigen im Hauptgebäude der Enzianbrennerei Grassl in Berchtesgaden im Ortsteil Unterau. „I bin einer mit Gschmo und Gfui, Geschmack und Gefühl, a deshalb ist der Job genau richtig für mi“, sagt Irlinger.
Die Enzianbrennerei Grassl wurde 1692 gegründet. Seitdem hat das Unternehmen das Recht, Enzian, Wacholder und die Meisterwurzel zu ernten und im Gebirge auf den Grassl Brennhütten zu destillieren. Heute bereitet Max Irlinger die „Wurzen“ des Meisterwurz für das Brennen vor. Der Meisterwurz ist ein Doldengewächs, das besonders an schattigen und felsigen Stellen wächst.
Es ist kalt und regnet in Strömen. Für den braungebrannten Irlinger kein Problem: „Ma kann jeds Wetter am Berg nutzen.“
„Saufen sollte er nicht“
Für die steile Fahrt auf die Grassl-Brennhütte am Priesberg braucht man einen Geländewagen – und „jemanden, der sich super in den Bergen auskennt“, sagt Florian Beierl, der Geschäftsführende Gesellschafter der Enzianbrennerei Grassl. Deshalb wird er uns fahren. Auskennen sollte sich auch der Bergbrenner, zum Beispiel damit, wie er einen Hüttenkoller vermeidet. Außerdem sei es wichtig, „Verbindungen zu Alliierten wie Bergknechten oder Rangern“ zu haben. In den Bergen ist ein gutes Netzwerk extrem wichtig, um sich gegenseitig zu unterstützen. Und: „Saufen sollte er nicht“. In der Talbrennerei werden rund 30 verschiedene Kräuter- und Fruchtliköre hergestellt.
Auf den Brennhütten entstehen die Edelprodukte wie der Funtensee-Enzian, der Bergbrenner-Gin oder der Jahrgangs-Meisterwurz mit 42 Prozent Alkohol. Vom Sammeln der Wurzeln über das Waschen, Hacken bis zum Brennvorgang – alles Handarbeit in den Bergen.
„Das ist der schönste Job der Welt.“ (Max Irlinger)
Nachdem Berchtesgaden und damit geteerte Straßen hinter uns liegen, geht es bergauf, teilweise mit einer Steigung von 27 Prozent. Über uns schweben die Gondeln der Jennerbahn im Nebel, unter uns finden sich Schlaglöcher und Pfützen, neben uns gähnender Abgrund. Nur wenige Wanderer sind unterwegs, bei der Auffahrt sehen uns einige Kühe der Molkerei Berchtesgadener Land zu. Man kennt sich: Die Molkerei und Grassl haben kürzlich gemeinsam einen Milchlikör entwickelt.
Eine Holzbrücke, zwei Kurven – und nach einer knappen Stunde liegt vor uns die Brennhütte am Priesberg. Im Balken eingeritzt sieht man das Baujahr, 1848, das dunkle Holz der urigen Hütte hat schon einiges erlebt. Max Irlinger ist bereits da, er beugt sich über einen Bach. Dort wäscht er die Wurzeln des Meisterwurz. Damit sich die Pflanzen regenerieren können, werden die Hütten im Wechsel bewirtschaftet. Am Priesberg brennt er von Juni bis Oktober, zeigt den Brennkessel sowie die karg eingerichtete Hütte vorbeikommenden Wanderern und schenkt Kostproben aus. Eine Stube, die er nicht zeigt, und ein Klohäusl sind vorhanden – der Brenner kann hier leben. Das hat der 30-Jährige kürzlich auf der Brennhütte auf der Eckerleiten getan: „I war dort acht Wochen und hab in der Zeit nix vo Corona mitkriegt“.
Der grüne „Gschmo“
Auch um den Bach herum wächst der Meisterwurz. Dessen Blätter erinnern mich an Minze, für die Schnapsherstellung werden aber nur die Wurzeln benötigt. Sie sind unterschiedlich groß, sehen aus wie Ingwer und riechen nach Sellerie oder Möhre. „Für mi schmeckt sie grün, de erinnert mi einfach an die Natur“, sagt Irlinger. 45 Kilogramm, „fast a neuer Rekord“, haben zwei Wurzelgraber mit Hacke und Grabersackerl in einer Woche gefunden. Die Wurzelgraber, darunter Privatleute, stammen aus der Gegend: Sie wissen, wohin sie greifen und treten dürfen.
Irlinger nimmt die nassen „Wurzen“ aus dem Bottich und legt sie auf die Holz- Hackbank vor der Hütte. Sie werden in kleine Stücke geschlagen. „Des is scho anstrengend, aber’s Holzhacken fürs Feuer is schlimmer“. In der befliesten dunklen Hütte mit der niedrigen Decke befindet sich ein kleiner holzbefeuerter Kupferkessel, in dem morgen gebrannt wird. Der Meisterwurz von Grassl ist ein Geist. Es findet keine alkoholische Gärung statt, sondern der Alkohol wird zugesetzt. Dieser reichert sich dann mit den ätherischen Ölen aus der Meisterwurzel an.
Heute werden die Meisterwurzeln in alte Leinensäcke zum Vorbrühen gelegt. Übermorgen geht es von ganz oben nach ganz unten: Der Jahrgangs-Meisterwurz wird 50 Meter unter Berchtesgaden in Felsstollen in Steingutfässern gelagert. Diese sind nur teilweise befüllt, die verbleibende Luft bewirkt einen Oxidationsprozess im Destillat. Das Produkt reift und wird milder. Nach mindestens sechs Monaten wird er im Tal abgefüllt. Dann sollte der Schnaps nach grünem Pfeffer, etwas erdig und würzig schmecken. Für mich ist er leicht bitter im Geruch und geschmacklich etwas scharf und erfrischend – voi schee.
Max Irlinger stammt aus Schönau am See, rund drei Kilometer von Berchtesgaden entfernt. Der gelernte Holz-bearbeiter fing als Talbrenner bei der Enzianbrennerei Grassl an und wurde Bergbrenner. Irlinger findet, dass man dafür ein „Handwerker mit zwei rechten Händen“ sein sowie verschiedene Alkoholarten und Formeln kennen sollte. Außerdem hat er Mikrobiologiekurse besucht. Seitdem ist jeweils immer eine Hütte in den Bergen sein Arbeitsplatz. Er genießt dort die Ruhe, die ihm selten zu viel wird. Im Gegenteil: Auf den Hütten am Priesberg und am Funtensee ist er wegen der Einsamkeit am liebsten. Für Abwechslung sorgen die Besuche seiner Frau oder er nimmt den Hund mit. Sport macht er nicht mehr, auch das „Wegschießen“ ist ihm fremd – wenn der Bergbrenner Alkohol trinkt, dann genüsslich einen „Meisterwurz“.