Teuflisch gute Kunst: Mathias Seidl gibt den Perchten Gesichter

Mathias Seidl stellt in Lam im Bayerischen Wald Perchtenmasken her. Auf dem Foto zeigt er auf seiner linken Seite Masken aus seinen Anfangstagen, rechts neuere Masken, die von ihm angefertigt wurden. (Foto: Franziska Meinhardt)

Der Teufel hat viele Gesichter. Auch in Lam im Bayerischen Wald. Der Schöpfer dieser Gesichter ist Mathias Seidl. Er formt sie aus Holz und sorgt mit seinen Masken dafür, dass sich Menschen in den Rauhnächten in wilde Dämonen verwandeln können.

Die „bluadige Luzier“, die mit einem Messer oder einer Sichel ihren Opfern den Bauch aufschneidet und dann Steine hineinlegt, oder die „Drud“, die sich nachts auf schlafende Menschen setzt und ihnen die Luft abdrückt – Schauergeschichten von Schreckensgestalten wie diesen geistern bereits seit Jahrhunderten auch durch den Bayerischen Wald. Noch heute erwachen diese Kreaturen bei den Rauhnächten im Winter furchteinflößend zum Leben. Auch im Lamer Winkel. Viele der Masken und Kostüme dafür stammen aus den Händen von Mathias Seidl aus Engelshütt, für ihn eine Herzensangelegenheit.

Eigentlich arbeitet der 41-Jährige als Beamter in einer Behörde. Ein Kontrast, wie er selbst sagt: „In meinem Beruf muss ich mich streng an Vorgaben halten. Beim Maskenschnitzen kann ich mich dagegen kreativ austoben.“ Für Mathias Seidl fing das vor 19 Jahren über Umwege an – damals noch nicht mit Holz, sondern mit Gips oder Styrodur, einem stabilen Dämmmaterial. In den Reihen der Freiwilligen Feuerwehr entstand die Idee für die Lamer Rauhnacht. Was dazu noch fehlte, waren die Masken. Und da Mathias Seidl nicht nur Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr ist, sondern auch über handwerkliches Geschick verfügt, widmete er sich spontan der Herstellung der Masken.

Die Kreativität dafür wurde ihm buchstäblich in die Wiege gelegt, weil sein Vater seit jeher kunstvolle Figuren aus Holz schnitzt. Dennoch ist aller Anfang bekanntlich schwer. Vor allem die bei den Gesichtern entscheidende authentische Anatomie war zu Beginn ein Problem. „Der tiefste Punkt der Masken liegt ja eigentlich unter den Augen. Bei meinen ersten Versuchen war er aber leider einige Male am Unterkiefer. Das sieht nicht gut aus und das kann man dann auch nicht mehr retten“, erinnert sich Mathias Seidl an seine Anfänge als Maskenschnitzer.

Seine erste von ihm hergestellte Maske hat er allerdings immer noch voller Stolz in seinem Besitz. Sie zeigt die teuflische Fratze einer Frau mit wilden Haaren. Was man bei bloßer Betrachtung der Maske nicht erkennt, ist, wie kreativ Seidl damals improvisiert hat. Denn die Augen bestehen aus Tischtennisbällen und sogar der abgeschnittene Rand eines Eimers wurde in der Maske verarbeitet.

Von derlei Experimenten ist der 41-Jährige mittlerweile längst abgekommen, denn Gips und Styrodur sind Geschichte. Stattdessen setzt er seit einigen Jahren auf Holz. Hauptsächlich auf das der Weimutskiefer, „weil ihr Holz für Forstwirte eigentlich nicht wertvoll ist“, wie Seidl erklärt. Am besten geeignet wäre jedoch Zirbenholz, das allerdings in Deutschland nur sehr schwer zu bekommen und daher kostspieliger ist. Entscheidend für die Bearbeitung ist, dass das Holz weich genug ist.

Wie aus einem Holzblock ein "zweites Gesicht" entsteht

Doch wie entsteht nun eigentlich aus so einem Holzstamm eine teuflische Rauhnachtsmaske? Alles fängt mit einer vagen Skizze auf Papier an. Dann geht es ans Eingemachte: ans Holz. Mit einer Motorsäge schneidet sich Mathias Seidl einen Holzblock mit einer Höhe von etwa 50 Zentimetern zurecht. Für den Laien zu diesem Zeitpunkt kaum vorstellbar, dass daraus einmal eine Art „zweites Gesicht“ entstehen kann. Dann markiert er in dem Holzblock die ungefähren Proportionen: Die Höhe in Dritteln, die Breite in Fünfteln. So kann er abschätzen, wo sich später Augen, Nase und Mund befinden müssen. Was dann folgt, ist der für den Zuschauer wohl spektakulärste Teil. Mit einer Motorsäge ,mit Carving-Schwert beginnt Mathias ,Seidl, den Holzblock zu verwandeln. Unmengen an Spänen wirbeln durch die Werkstatt, Kanten werden abgesägt, jeder Handgriff sitzt routiniert. Erste Rundungen entstehen in dem festgespannten Holzstück, Augenhöhlen und Wangenknochen werden allmählich erkennbar – und dann auch die Nase. Es hat etwas Magisches, wie ein totes Stück Holz binnen einer Stunde förmlich zum Leben erwachen kann. Die Fantasie beginnt dem Betrachter Streiche zu spielen, und man ertappt sich mehrmals bei dem Gedanken, dass einen das Gesicht in dem Holzblock anstarrt.

Der Schöpfer selbst hat derlei Gedanken dagegen nicht. Verständlich, schließlich ist er es, der ähnlich wie Dr. Frankenstein etwas Leblosem überhaupt erst eine Form von „Leben“ einhaucht. Mathias Seidl wirkt dabei wie in einer Art Tunnel, völlig fokussiert auf das Holz vor ihm. Die Motorsäge ist sein  verlängerter Arm und formt durch seine Führung das Gesicht. Knapp zwei Stunden dauert allein dieser Prozess. „Insgesamt brauche ich für die Herstellung einer komplett fertigen Maske etwa 40 Stunden“, verrät Seidl. Denn nach dem Aushöhlen des Werkstückes mit der Motorsäge geht es an die Feinheiten. Dafür benutzt er verschiedene Schleifgeräte und Schnitzeisen.

Für Mathias Seidl im gesamten Herstellungsprozess eher eine Art „Pflicht“, ehe für ihn die Kür folgt: „Mit der Motorsäge kann man einfach nicht so kreativ sein. Da bringe ich das Holz nur in eine gewisse Form. Am liebsten bemale ich die Masken. Da kann ich meiner Fantasie freien Lauf lassen.“ Um mit der Bemalung der Masken beginnen zu können, muss das frisch bearbeitete Holz erst eine Weile ruhen. Mit Acrylfarben und verschiedenen Pasten macht sich Seidl dann daran, dem Teufel seine Gesichter zu geben. Inspiriert wird er dabei von den alten Sagen, Legenden und Darstellungen der bayerischen Schreckensgestalten wie der „bluadigen Luzier“ oder der „Drud“. Wobei diese Vorlagen nur grobe Orientierungen sind, den Rest übernimmt allein die Fantasie.

Und so sieht eine fertiggestellte Perchtenmaske aus den Händen von Mathias Seidl aus. (Foto: Franziska Meinhardt)

Ohnehin hat die Herstellung der Masken für den 41-Jährigen etwas Meditatives. Seidl: „Es gibt Masken, mit denen ich persönliche Gefühlslagen und Erlebnisse verarbeitet habe. Es ist also für mich eine Art Selbstreinigungsprozess, denn danach geht es mir besser.“ Die Kunst als Ventil. Wer darin so viel Zeit, Arbeit und Herzblut investiert, der hängt natürlich auch besonders an seinen Werken. So ist es auch bei Mathias Seidl: „Es fällt mir schon oft schwer, mich von meinen Masken zu trennen und sie dem jeweiligen Kunden zu übergeben. Für mich ist das einfach etwas sehr Persönliches.“ 


Bei so viel Leidenschaft für diese Kunst ist es nur nachvollziehbar, dass der Künstler seine Masken nicht wie am Fließband produziert. Etwa vier bis fünf davon stellt er pro Jahr her, jede ein Unikat. Wer eine solche Maske samt Fellkostüm kaufen möchte, muss etwa 600 Euro dafür berappen. Ein Preis, der sich nicht zuletzt durch die vielen Arbeitsstunden und die zum Teil teuren Materialien wie den echten Tierhörnern zusammensetzt.

Doch nicht nur andere Rauhnacht-Teilnehmer profitieren von der Kunst von Mathias Seidl. Auch er selbst schlüpft zur Lamer Rauhnacht, die jedes Jahr am 27. Dezember stattfindet, in eines seiner schaurigen Kostüme aus zotteligem Fell und teuflischer Maske. „Das hat schon eine ganz besondere Gruppendynamik, wenn man da mitmacht. Man ist wie ein anderer Mensch“, berichtet der Maskenschnitzer von seinen Erfahrungen. Denn der Teufel hat viele Gesichter und jeder Mensch seine ganz eigenen Dämonen – die Kunst ist dafür das beste Ventil.

Mehr über den Maskenschnitzer sowie weitere spannende Themen finden Sie in der Ausgabe 01/2023 von Bayerns Bestes.

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Matthias Jell

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