Berchtesgadener War: Kleine Holzkunst ganz groß

Die Berchtesgadener War: Pfiffige Miniaturen am Christbaum. (Foto: Berchtesgadener Land Tourismus)

Seit am Christbaum Biertragl und Skier auf Oaschpfeifirössl treffen, ist die buntgetüpfelte “Berchtesgadener War” wieder voll im Trend. Schnitzerin Barbara Moderegger lüftet das Geheimnis um ihr neuestes Holzkunstwerk.

Langsame E-Gitarre und das Becken eines Schlagzeugs – es rockt im Atelier von Barbara Moderegger. “Sometimes I tremble, sometimes I shake” röhrt der Sänger von Black Pistol Fire. Von wegen Zittern und Beben: Die Bildhauerin schiebt ruhig Zahnstocher durch vorgebohrte Löcher in einer kleinen Holzleiste. Immer die gleiche Bewegung. Holzteilchen nehmen, mit Kleber betupfen, zwei Zahnstocher rein und weglegen.

“Ohne Musik geht gar nichts. Ein Lied muss eine Geschichte erzählen, dann ist es völlig egal, wenn die Hände den gleichen Handgriff hundertmal machen, weil der Kopf ganz woanders ist”, sagt sie. Das, was sie herstellt, hat Geschichte: Berchtesgadener War, einst Pfennigware aus Berchtesgaden.

Ein Biertragerl aus Holz im Miniaturformat. Um so etwas herzustellen, braucht man viel Geduld und vor allem Fingerfertigkeit. (Foto: Berchtesgadener Land Tourismus)
Das mit bunten Tüpfelblüten bemalte Spielzeug reiste schon im 15. Jahrhundert auf den Schiffen Vasco da Gamas bis nach Indien. Hausierer brachten es aus dem fürstpröpstlichen Berchtesgadener Land über die Alpen. Denn auf Waren, die man selbst trug, wurde nach der Handwerksordnung von 1535 weder Zoll noch Maut erhoben. Bis zum 19. Jahrhundert trugen Männer wie Anton Adner sie im Auftrag von sogenannten Verlegern auf Holzkraxn bis nach Venedig und Nürnberg. Mit den einfachen Schnitzereien verdienten sich die armen Gebirgsbauern ein lebensnotwendiges Zubrot. Im Winter saß die Familie vom Opa bis zum Dreijährigen zusammen und schnitzte, schliff, drechselte und bemalte Berchtesgadener War: Spanschachteln, Spielzeug und Grobschnitzerei. Schnelle Pfennigware war das Ziel. Die Arbeitszeit wurde nicht gerechnet, als Material diente Holz aus den Wäldern, jeder Rest wurde verwertet. Zum Markenzeichen entwickelten sich die aufgestempelten Tüpfelblumen.

Spielzeug zu Christbaumschmuck

 

Die Tradition bewahren rund 20 Handwerker, Bildhauer und Schreiner rund um Berchtesgaden. Liebevoll und fachkundig fertigen sie nach altem Vorbild fast 50 Motive per Hand: Hühnersteigen, Ratschen, Skier und Arschpfeifenrösser. Die orangen “Oaschpfeifirössl” tragen einen Reiter mit Feder auf dem Hut. Ihr Schweif ist eine Spielzeugpfeife. Dass früher mit ihnen gespielt wurde, zeigen die Rollen unter den Hufen. Die Pfeife hintendran funktioniert.

Beinahe hätte vor rund 100 Jahren die Industrialisierung das Aus bedeutet für das in ganz Europa beliebte Spielzeug. Was war schon “altbackenes” Holz gegen aufregende Blechsoldaten? Damals kamen Berchtesgadener Künstler um den Maler Anton Reinbold auf die Idee, die Kunst aus der Fichte an die Fichte zu hängen – so lebte die Tradition weiter.

Tradition in die Zukunft führen

 

Zwei, die dieses Brauchtum mit neuem Leben füllen, sind Dirk Frees, Restaurator und Geschäftsführer im Laden der Berchtesgadener Handwerkskunst, und Bildhauerin Barbara Moderegger. ” In meiner Jugend hatte ich die Berchtesgadener War gar nicht auf dem Schirm”, gibt sie zu: “Uncool.” Zuhause wurde der Christbaum mit Glaskugeln “aufgekränzt”. Vor zehn Jahren packte die Schnitzerin der Ehrgeiz und die Liebe zur Tradition. Das Klohäusl war ihre erste “War”. Bewegliche Tür und Klorolle inklusive. Seither entwickelt sie jedes Jahr ein neues Motiv: eine Standuhr mit beweglichem Pendel, ein Biertragl, eine Schaukel, die auch auf schiefen Ästen gerade hängt.

Barbara Moderegger in Aktion. Hier entstehen die kleinen Kunstwerke. (Foto: Berchtesgadener Land Tourismus)

Millimeterarbeit und Fingerfertigkeit

 

Dieses Jahr perfektioniert sie die Prototypen für eine “Stafflei”, eine Trittleiter: “Die muss man komplett zusammenklappen können, mit beweglichem Trittbrett, auch wenn ich dafür an der Unterseite je zwei Kerben schnitzen muss.” Anschließend berechnet sie auf die Minute genau, wie lange sie für ein fertiges Stück in den hunderten Arbeitsschritten vom Sägen, Schleifen, Leimen, Beizen, Bemalen bis zum Binden des roten Aufhängers braucht. Schließlich muss sie wirtschaftlich produzieren. 12 Minuten dauert ein Biertragl. Und die Stafflei? “Mehr”, sie schnauft tief und lacht über sich selbst, dass sie sich nichts Einfacheres vorgenommen hat. 12 Teile, das kleinste zwölf auf vier Millimeter groß. Das würde die Säge einfach wegwirbeln, wenn Barbara Moderegger nicht mehrere Leisten, mit Klebeband fixiert, auf einmal nehmen würde.

Geduld, Genauigkeit, Fachwissen und ein Tüftlerherz braucht sie, um in einfacher Form mit Holz und Farbe schönes Spielzeug für den Christbaum zu schaffen. Und wie damals bei den Bauern verschwimmen Arbeit und Freizeit. Wenn ihr Mann abends neue Bergtouren fürs Wochenende austüftelt, stapeln sich neben ihrem Rotweinglas Ziehharmonikas, Koffer, Bankerl und Staffleien. Nebenher sind die Finger beschäftigt, stempeln Blüten, tupfen Punkte und versehen braune Bierflascherl mit weißen Deckeln.

Weitere interessante Artikel lesen Sie im Bayerns Bestes Magazin, Ausgabe 05/2020.

Matthias Jell

Matthias Jell

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