Auf dem Schönwerth-Märchenpfad in Sinzing bei Regensburg

Märchenpfad Sinzing
Hexenbesen hängen im Baum: Hier dreht sich alles um Märchen. (Foto: Marina Jung)
Die ersten warmen Frühlingstage sind angebrochen. Kleine Leberblümchen haben ihren Weg durch die Reste des Herbstlaubs gefunden und strecken ihre lila Blüten dem Himmel entgegen. Erika Eichenseer (87) geht an ihnen vorbei, hin zum Zwergenkönig. Er sitzt auf einem großen Stein, sieht sie sehnsuchtsvoll an, streckt ihr eine kunstvoll verzierte Krone entgegen. Er wünscht sich so sehr eine Braut. Zur Begrüßung greift Erika Eichenseer ihm liebevoll an die Nase, danach dreht sie an seiner “Wunschwarze”. Heute nimmt sie seinen Antrag nicht an.

Der “Zwergenkönig” ist eines von neun Wald- und Naturmärchen des Amberger Volkskundlers Franz Xaver von Schönwerth (1810 – 1886), von denen man sich auf dem Schönwerth-Märchenpfad in Sinzing bei Regensburg verzaubern lassen kann. Etwa 500 Erzählungen umfasst seine Sammlung insgesamt: Sagen, Natur-, Wasser-, Liebes-, Tier- und Schauermärchen von einfachen Leuten, Bauersknechten und Großmüttern überliefert, allesamt aus der Oberpfalz. Erika Eichenseer hat sie durch eine Kette von Zufällen gefunden. Eine Sensation, die weltweit für Aufsehen sorgte.

Der Schönwerth-Märchenpfad in Bildern

Der Wert von Märchen

 

Was ist das? Ein sonderbarer Klang mischt sich in das Vogelgezwitscher, ganz leise. Ein Windspiel, nur auf einen einzigen Ton gestimmt. “Und das hat ein Handwerksbursche gehört, ein Schneider, der durch den Wald gegangen ist”, sagt Erika Eichenseer. “Der Schneider dachte sich: ‚Da singt irgendwas. Ein Baum? Ja der interessiert mich jetzt.‘ Und dann zieht er seine Schneidernadel, bohrt damit in die Rinde.” Schon ist man im nächsten Märchen drin, dem vom “Singenden Baum”. Hier rächt sich die Natur bitter an einem Schneider für die erlittene Qual. Nie wieder wird er einem Baum etwas zuleide tun.

Video: Mystischer Märchenpfad

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Eine gedruckte Kurzversion ist für Wanderer an einer Holzstele angebracht. Über einen QR-Code ist das ganze Märchen, gelesen von Erika Eichenseer, abrufbar. Auf der Stele befinden sich auch Denkanstöße und weiterführende Fragen, die tief ins Bewusst-sein dringen sollen: Hat der Schneider eine harte Strafe verdient? Können Bäume oder andere Pflanzen Schmerzen empfinden?
“Das ist der Wert von Märchen”, sagt Erika Eichenseer. Keine Geschichte von einem Baum, sondern eine Lebensgeschichte mit Lösungsansätzen. “Nur wer kapiert, warum es so ein Verbrechen ist, wenn man Initialen oder ein Herzerl in einen Baum schnitzt, lässt es – immerhin schneidet man damit die Saftstränge ab, so dass der Baum oben dürr wird und mit der Zeit kaputtgeht”, sagt Erika Eichenseer. “Wenn ich nur sage: ‚Das darfst ned!‘, dann macht man es erst recht.”

Die Bedeutung von Märchen für Kinder

 

Was die Macht der Märchen alles bewirken kann, erlebt Erika Eichenseer immer wieder bei ihren Führungen. Kinder werden zu Laiendarstellern und spielen nach, wie “Das dumme Weib” von ihrem Mann geschimpft wird, weil sie ihr letztes Geld der “Großen Not” geschenkt hat. Wie die “Holzfräulein” suchen sie Baumstümpfe mit einem drei-fachen Kreuz, um vor der “Wilden Jagd” in Sicherheit zu sein, während Erika Eichen-seer das Ungetüm in den Bäumen mit einem Stock zum Scheppern bringt. Und sie merkt, wie die Kinder Mitleid mit dem blauen Prin-zen entwickeln, weil er in einen “Roßzwifl” (Mistkäfer) verwandelt wurde, nachdem er einen ebensolchen zertreten hatte. Sie erzählt das Märchen so mitreißend, dass man unweigerlich den Kopf wendet und nach dem blauen Prinzen sucht, wenn sie sagt: “Da ist der blaue Prinz. Schau her, da kommt er herauf!”

Infolge des Sensationsfundes gründete Erika Eichenseer 2009 zusammen mit ihrem Mann, dem früheren oberpfälzer Bezirks-heimatpflerger Dr. Adolf Eichenseer, die Schönwerth-Gesellschaft mit den Ziel, das Andenken an den Märchensammler hochzuhalten und ihn in seiner Heimat bekannter zu machen. Lesungen, Theater, Märchenkon-zerte – Schönwerth sollte aus den Büchern geholt und für alle sichtbar gemacht werden. Dazu gehört auch der 400 Meter lange Märchenpfad in Sinzing, eine Begegnungsstätte von Natur, Kultur und Kunst, wo man fernab von Alltag und Smartphone zur Ruhe kommen kann. An allen Stationen gibt es eigens für sie angefertigte Kunstobjekte und Installationen regionaler Künstler. Spielerisch und anschaulich sollen sie den Besuchern Schönwerths Arbeit näherbringen und damit einen neuen Zugang zur Natur öffnen.

Ein Schatz, der in der Oberpfalz verwurzelt ist

 

Für Erika Eichenseer sind Schönwerths Märchen ein Schatz, der in der Oberpfalz verwurzelt ist. Die Texte seien noch ursprünglich und rein, sagt sie, nicht so verfälscht wie die Märchen der Gebrüder Grimm. Videokünstlern aus Amerika hat sie dennoch einige für ihre Arbeit zur Verfügung gestellt. Hollywood dagegen hat sie abblitzen lassen. Zum Abschied geht Erika Eichenseer noch einmal zum
Zwergenpalast. “Servus, Zwergenkönig. Lass dir’s gutgehen”, sagt sie. Noch immer streckt er ihr sehnsüchtig die Krone entgegen. Dann verlässt sie die Märchenwelt für heute.

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Matthias Jell

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