Er isst, was er schießt. Bei Gabriel Arendt landen Reh, Hirsch und Wildschwein erst vor der Flinte und dann auf dem Teller. Von der Liebe eines Münchner Kochs zu Wild und gutem Essen.
Locker aus dem Handgelenk schwenkt Gabriel Arendt die Pfanne mit dem Rehrücken. Die beiden Stücke brutzeln in Thymian-Zweigen und Butter. Es duftet herrlich. “Nur kurz und heiß anbraten”, sagt der Koch und schiebt die Pfanne in den Backofen. Auf dem Herd schwitzt der 44-Jährige Zwiebeln mit Speckstreifen vom Wollschwein an und gibt frische Pfifferlinge dazu. Salz und Pfeffer – viel Gewürze braucht er nicht. Das Kochen hat er vor allem vom Vater gelernt. “Im Urlaub sind mein Vater und ich auf die Märkte und ich durfte mir aussuchen, was ich wollte. Ich habe immer das genommen, was ich nicht kannte und dann wurde beim Kochen viel ausprobiert”, erinnert er sich. So entwickelte sich die Leidenschaft fürs Kochen. Und diese machte der große Mann mit dem sympathischen Lächeln vor ein paar Jahren zum Beruf. Davor war er jahrelang in anderen Berufen auch im Ausland tätig, zum Beispiel als Tauchlehrer in Thailand. Ausschlaggebend für die Veränderung war die Kochshow “The Taste” im Jahr 2013. Freundin und Familie hatten ihn angemeldet. “Anfangs habe ich sie dafür verflucht, danach war ich sehr dankbar, denn ich hatte das erste Mal eine Referenz, wie ich koche.” Mit dem fränkischen Koch Alexander Herrmann als Mentor schafft es Arendt ins Finale der ersten Staffel – und arbeitet seitdem als Privatkoch.
In der ersten Show kochte er Rehrückenfilet. Und auch heute steht Rehrückenfilet auf der heimischen Speisekarte – allerdings mit Pfifferlingen und grünen Bohnen, die in toskanischem Pancetta eingewickelt werden. Arendt ist völlig konzentriert, als er die blanchierten grünen Bohnen in die italienische Variante des Bauchspecks vom Schwein einwickelt und ebenfalls anbrät. Nun steigt auch der Duft von gebratenem Speck in die Nase und der Magen knurrt. Nach zehn Minuten holt er die Filets aus dem Ofen. Medium rare. Er richtet den Teller mit selbstgemachtem Preiselbeer Gelee an – wie ein Gemälde. Ich traue mich kaum, davon zu essen.
Große Leidenschaft fürs Jagen und Kochen
Das Reh hat er selbst geschossen. Arendt ist leidenschaftlicher Jäger. Seit seiner Kindheit ist der gebürtige Münchner im Wald unterwegs. “Wir waren am Wochenende immer in Österreich oder auf der Jagd.” Mit 16 Jahren machte er den Jagdschein. Was ihn am Jagen fasziniert? “Für mich ist es die Verbindung mit der Natur. Das Schießen selbst macht nur ein Prozent aus.” Dem Jäger ist Verantwortung wichtig, deshalb vermittelt er den wertschätzenden Umgang auch auf Jagdreisen. Und die Qualität des Fleisches fängt beim lebenden Wildbret an: Ist ein Tier dürr, hat Durchfall oder humpelt – da müsse man sehr wachsam sein.
Auch die Jagdart hat Einfluss auf die Qualität des Fleisches. Bei Drückjagden werden die Tiere durch den Wald getrieben. “Und ein großes Problem ist, dass viele Jäger nicht genug Schießübungen machen und zum Teil nur mäßig treffen.” Deswegen werden mehrere Schüsse auf ein Tier abgegeben. Dabei kann auch ein Schuss durch den Bauch, den Pansen, gehen. Solche Schüsse muss man sofort aufbrechen und reinigen, denn die Bakterien, die durch einen unsauberen Schuss austreten, lassen das Wildbret rasch ungenießbar werden. Bei einer Drückjagd sei es jedoch oft so, dass man mehrere Stunden auf dem Sitz bleiben muss und das Wild entsprechend lange daliegt. Arendt: “Das ist in meinen Augen wildbrethygienisch nicht vertretbar.”
Respekt vor Lebewesen
Er selbst schießt Wild beim Pirschen oder vom Hochsitz aus. Wenn er etwas erspäht, entscheidet er, ob er das Wild erlegt. Ein Knall und dann falle es zusammen. Aus Respekt dem Tier gegenüber bleibt er noch einige Minuten auf dem Sitz, bevor er sich dem erlegten Wild nähert. Das hat er von seinen Eltern, die selbst Jäger sind, so gelernt. Zusätzlich sitzt Arendt noch einige Minuten bei dem Tier. “Man hat ein Leben genommen und darf den Respekt vor dem Lebewesen nicht verlieren.” Deshalb schieße er auch nie, wenn er sich nicht sicher ist, und übe viel auf dem Schießstand. “Es muss alles passen”, sagt Arendt.
“Wild ist etwas ehrliches, aus der Natur entnommen.” (Gabriel Arendt)
Nach der Jagd bringt Arendt das Fleisch sofort in seine Wildkammer. Dort lässt er es reifen. “Viele machen den Fehler und lassen es zu kurz reifen, ich lasse Wild lieber länger reifen und arbeite mit unterschiedlichen Temperaturen.” Für dieses sensible Fleisch ist es nicht gut, wenn es zu schnell heruntergekühlt wird, zum Beispiel von 36 Grad Celsius Körpertemperatur auf zwei Grad. “Ich lasse meines daher über Nacht im Vorraum langsam herunterkühlen und dann kommt es erst in die Kühlung”, sagt er. Hier hängt das Wild ab: Federwild für zwei Tage, Hasenartige für drei bis sechs Tage bei maximal vier Grad, Wildschweine für vier bis fünf Tage (alte Stücke auch zwei Tage länger) und Rehwild, Gams und Hirsch (Rotwild, Damwild und Sikawild) für sieben bis zehn Tage. “Die Temperatur stelle ich auf vier bis fünf Grad ein und die letzten drei Tage auf zwei Grad.” Anschließend wird das Wild unter hohen hygienischen Auflagen zerwirkt (zerlegt) und eingefroren oder sofort weiterverarbeitet.
Wissenswertes über die Wild-Zubereitung
Für die Wild-Zubereitung hat der Koch aus dem Stegreif viele Tipps: Da dieses Fleisch so sensibel ist, sollte man tiefgefrorenes Wild langsam über Nacht im Kühlschrank auftauen. “Je nach Gericht lege ich das Stück Wildbret danach auf einen Teller, bedecke es mit Frischhaltefolie und lasse es so vor der Zubereitung einige Stunden bei Raumtemperatur ruhen.” Der Grund: Wenn man das Reh rosafarben möchte, braucht es innen eine Temperatur von 58 Grad. Ist das Reh noch gefroren, wird das Fleisch im Ofen später viel länger von der Hitze beansprucht und die Innentemperatur von 58 Grad schwierig. Hat das Fleisch bereits Raumtemperatur, geht dies leichter. Wild eignet sich zudem sehr gut zum Kurzbraten. Steaks aus Wild sollten besser scharf angebraten oder angegrillt werden, sagt Arendt und ergänzt: “Danach ruhen lassen.” Eine Keule sollte man lieber sechs Stunden bei 90 oder 100 Grad zubereiten, als zwei Stunden bei 180 Grad. “Sensibel kochen”, lautet die Devise.
Und was ist kulinarisch besonders am Wild? Es ist sehr gesund, hat wenig Cholesterin und wenig Fett, dafür einen hohen Eiweißgehalt. Zudem ist Wild reich an ungesättigten Fettsäuren, Vitaminen und Spurenelementen. Darüber hinaus hat Wild einen kräftigen, saftigen Geschmack. Vom einheimischen Wild schmeckt der Feldhase am stärksten nach Wild, danach das Reh. Auch die Gams in Bayern hat einen besonderen Wildgeschmack. Doch woher kommt dieser Geschmack? Das hänge auch davon ab, wie die Tiere gelebt haben, sagt der Koch. Ein Reh frisst beispielsweise nur bestimmte Kräuter, Blätter und Sprossen, weil es ein Selektieräser ist. Arendt: “Das macht den kräftigen Geschmack aus.” Ein weiterer Tipp sei, generell nach Farben zu kochen. Zu Wild passen beispielsweise Portwein, Pilze, rote Beete, Preiselbeeren, Rotwein, Kakao, Schwarzwurzel oder Belugalinsen. Und wie wäre es mal mit einem Schnitzel vom Reh oder Hirsch? Das Fleisch könne man ebenfalls klopfen, panieren und kurz in Butterschmalz anbraten. “Das schmeckt sensationell.” Sensationell schmeckt auch der Rehrücken. Zart und kräftig. Die Bohnen im knusprigen Speckmantel und die Pfifferlinge harmonieren wunderbar. Und das Preiselbeer-Gelee bringt die süße Note. Ein kulinarisches Gedicht.
Weitere Fotos vom Wildkochen:
Wilde Wildküche
Von Gabriel Arendt
Egal ob Chili con Hase, Hirschburger de luxe, Fingerfood oder Grillspecials: Der Münchner Koch Gabriel hat sich kreativen Wildgerichten verschrieben und entwickelte in mehr als 20 Jahren einen ganz eigenen Stil zu kochen. In diesem Buch verrät er 70 innovative Rezepte und gibt Tipps rund ums Wildbret.
BLV Buchverlag GmbH & Co. KG,
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Weitere Infos: www.gabriel-arendt.de